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VfGH behandelt neuerlich zahlreiche  Anträge zu Maßnahmen gegen COVID-19

03.06.2021

Beratungen des Richterkollegiums ab Montag, 7. Juni – Insgesamt über 400 Fälle 

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) tritt am Montag, 7. Juni 2021, zu einer Session zusammen, die auf drei Wochen anberaumt ist. Auf der Tagesordnung stehen über 400 Fälle. Rund 60 davon werden im Plenum des Gerichtshofes beraten, die übrigen in Kleiner Besetzung. Ein Teil der Fälle bezieht sich wieder auf das Thema COVID-19; über Anträge zu allen anderen Bereichen wird in den nächsten Tagen noch gesondert informiert. 

Seit April 2020 gehen beim VfGH laufend Anträge ein, die mit COVID-19-Maßnahmen in Verbindung stehen. Insgesamt sind dies derzeit rund 300; ein Teil dieser Anträge – rund 130 – wurde noch im Jahr 2020 erledigt.

Für die Behandlung vieler Anträge ist, wie im Verfahrensablauf vorgesehen, ein Vorverfahren nötig. Der VfGH holt dann eine Stellungnahme der Gegenpartei ein: bei Anträgen auf Gesetzesprüfung ist dies die Bundes- oder eine Landesregierung und bei Anträgen auf Verordnungsprüfung vor allem die verordnungserlassende Behörde. Erst nachdem eine Stellungnahme eingelangt ist, kann der VfGH entscheiden.

Zu bereits ergangenen Entscheidungen des VfGH im Zusammenhang mit COVID-19 hat der VfGH auf seiner Website einige Presseaussendungen veröffentlicht. In den meisten Fällen ging es um Verordnungen, die zum Zeitpunkt, als der VfGH entschied, bereits außer Kraft getreten waren. In seinen Entscheidungen hat der VfGH ausgedrückt, welche verfassungsrechtlichen Schranken die zuständigen Behörden bei Maßnahmen gegen COVID-19 zu beachten haben.  Entscheidungen des VfGH wirken sich jedoch nicht auf Vorschriften aus, die erst nach der Entscheidung in Kraft getreten sind: Der VfGH ist verpflichtet, jede einzelne Anfechtung neu zu prüfen, auch wenn sie einen ähnlichen Inhalt wie eine frühere hat.

(Eine vierteljährlich aktualisierte Übersicht über die beim VfGH anhängigen Normenprüfungsverfahren findet sich auf der Website des Gerichtshofes.)

In der Juni-Session 2021 werden insbesondere folgende Fälle, in denen es um COVID-19-Maßnahmen geht, beraten:

Betretungsverbot für Kultureinrichtungen

Die 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung vom 5. Februar 2021 sah u.a. vor, dass Kultureinrichtungen nicht betreten werden dürfen; ebenso waren kulturelle Veranstaltungen untersagt.

Gegen diese Regelungen richtet sich ein von mehreren Kulturschaffenden gemeinsam eingebrachter Antrag („Florestan“-Initiative). Darin wird vor allem geltend gemacht, dass die strengen Maßnahmen im Hinblick auf die bestehenden – erfolgreich umgesetzten – Präventionskonzepte unverhältnismäßig seien. Der Zweck, die Gesundheit und das Leben besonders verletzlicher Gruppen von Personen zu schützen, dürfe nicht dauerhaft mit Maßnahmen einhergehen, die eine Vielzahl von anderen Personen unverhältnismäßig belasten, wenn andere geeignete Maßnahmen zur Verfügung stehen. 

(V 86/2021) 

Maskenpflicht in Betriebsstätten des Handels 

Die Kundin eines Supermarkts erhielt eine Geldstrafe, weil sie am 15. September 2020 entgegen der COVID-19-Lockerungsverordnung beim Betreten des Kundenbereichs einer Filiale keinen Mund-Nasen-Schutz getragen hatte. Sie beschwerte sich dagegen beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich. Dieses stellt beim VfGH den Antrag auf Feststellung, dass die „Maskenpflicht“ gesetzwidrig war. 

Das Landesverwaltungsgericht hat das Bedenken, dass die für die angefochtene Vorschrift maßgeblichen tatsächlichen Umstände vom zuständigen Bundesminister für Gesundheit nicht aktenmäßig dokumentiert worden seien. Dies würde einen Verstoß gegen das Legalitätsprinzip bedeuten. 

(V 35/2021) 

Verbot des „Click & Collect“ im Spätherbst 2020 

Die Möbelhandelskette IKEA wendet sich dagegen, dass das Betreten und Befahren des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels in der Zeit von 17. November bis 6. Dezember 2020 ausnahmslos – also auch zur Abholung bereits bezahlter Waren („Click & Collect“) – verboten war.  

Die entsprechende Regelung der COVID-19-Notmaßnahmen­verordnung sei nicht notwendig, um einen Zusammenbruch der medizinischen Versorgung zu verhindern. Damit sei sie aber sachlich nicht gerechtfertigt und verfassungswidrig. 

(V 592/2020)  

Betretungsverbot für Betriebsstätten des Handels mit Papier- und Schreibwaren 

Von dem seit 17. November 2020 geltenden Betretungsverbot für Betriebsstätten des Handels waren mehrere – als „systemrelevant“ erachtete – Bereiche ausgenommen, so etwa der Lebensmittelhandel, Drogerien, der Verkauf von Tierfutter und Tabakfachgeschäfte, nicht aber auch der Verkauf von Papier- und Schreibwaren (Büromaterial). 

Die Handelskette PAGRO und LIBRO sieht in dieser Differenzierung einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Für Personen, die ihren Beruf im Homeoffice ausüben (müssen), sowie für Kinder und Jugendliche, die auf Homeschooling verwiesen sind, seien nämlich auch Papier- und Schreibwaren von erheblicher Bedeutung. 

(V 593/2020) 

Beschränkungen ab 26. Dezember 2020 

Eine Oberösterreicherin erhebt Bedenken gegen Teile der 2. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung, die ab 26. Dezember 2020 gegolten hat. Die angefochtenen Maßnahmen seien unverhältnismäßig und verstießen daher sowohl gegen das COVID-19-Maßnahmengesetz als auch gegen Grundrechte. Der Antragstellerin sei es auf Grund des grundsätzlichen Verbotes von Veranstaltungen (Zusammenkünften) etwa nicht möglich gewesen, am Begräbnis ihrer Tante teilzunehmen. 

(V 2/2021)   

Testpflicht für die Ausreise aus Tirol bzw. aus den Tiroler Bezirken Kufstein und Schwaz 

Zur Bekämpfung der Verbreitung der Virusvarianten B1.351 und B.1.1.7/E484K („südafrikanische“ bzw. „britische“ COVID-19-Mutation) war im Februar bzw. März 2021 die Anordnung ergangen, dass die Grenzen des Tiroler Landesgebietes bzw. der Bezirke Kufstein und Schwaz grundsätzlich nur mit einem höchstens 48 bzw. 72 Stunden zurückliegenden negativen Testergebnis überschritten werden dürfen.  

Gegen diese Ausreisebeschränkung erheben sowohl mehrere Einzelpersonen als auch das Landesverwaltungsgericht Tirol Bedenken. In den Anträgen wird u.a. geltend gemacht, die Anordnung einer Testpflicht als Bedingung für die Ausreise stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf Freizügigkeit dar und es sei unsachlich, dass auch Personen mit Antikörpern gegen COVID-19 von der Testpflicht umfasst waren. 

(V 87/2021 u.a. Zlen.) 

Entschädigung für Verdienstentgang durch COVID-19-Maßnahmen 

In verschiedenen Wirtschaftszweigen tätige Unternehmen erheben Anspruch auf Vergütung des Verdienstentgangs, der ihnen durch epidemierechtliche Beschränkungen entstanden ist. Sie wenden sich in ihren Beschwerden gegen Entscheidungen von Landesverwaltungsgerichten, die einen solchen Ersatzanspruch verneint haben. 

(E 4044/2020 u.a. Zlen.) 

Entschädigung bei Zivildienst wegen COVID-19: VfGH prüft Zuständigkeit des Heerespersonalamtes  

Aus Anlass mehrerer Beschwerden hat der VfGH von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Bestimmung des Zivildienstgesetzes 1986 (ZDG) eingeleitet. An den VfGH gewandt hatten sich mehrere Zivildiener, die bis März 2020 den ordentlichen Zivildienst leisteten. Mit Bescheiden der Zivildienstserviceagentur wurden sie vor dem Ende ihres Dienstes verpflichtet, im Anschluss an den ordentlichen noch bis 30. Juni 2020 außerordentlichen Zivildienst zu leisten; diese Maßnahme sei im Hinblick auf die Folgen von COVID-19 erforderlich.  

Gleichzeitig erfolgte ein Aufruf an alle ehemaligen Zivildiener, sich freiwillig zum außerordentlichen Zivildienst zu verpflichten.  

Die Vergütung für die freiwilligen Zivildiener war jedoch höher als jene für die Zivildiener, deren ordentlicher Dienst verlängert worden war. Die Beschwerdeführer beantragten daher beim Heerespersonalamt für die Monate, in denen sie verlängerten Zivildienst leisteten, ebenfalls die Gewährung einer Pauschalentschädigung bzw. den Ersatz des Verdienstentganges. Mit Bescheiden des  Heeres­personal­amtes wurden diese Anträge jedoch abgewiesen. Auch die dagegen beim Bundes­verwaltungsgericht erhobenen Beschwerden blieben erfolglos.  

Der VfGH hält es vorläufig für verfassungswidrig, dass zur Entscheidung über finanzielle Ansprüche der Zivildiener das Heerespersonalamt zuständig ist. Dies scheint – so die vorläufige Annahme des VfGH – gegen die Verfassungsbestimmung des § 1 Abs. 5 ZDG zu verstoßen, wonach der Zivildienst außerhalb des Bundesheeres zu leisten ist. In dieser Bestimmung dürfte nämlich auch das Verbot liegen, mit der Vollziehung von Angelegenheiten des Zivildienstes den für militärische Angelegenheiten zuständigen Bundesminister oder eine ihm in organisatorischer Hinsicht unterstellte Behörde wie das Heerespersonalamt zu betrauen.  

Der VfGH hat nunmehr zu entscheiden, ob dieses Bedenken zutrifft. 

(G 47/2021 u.a. Zlen.)  

Sitzungsablauf 

Werden Fälle auf die Tagesordnung einer Session gesetzt,  bedeutet dies nicht automatisch, dass diese Fälle auch in derselben Session entschieden werden. Wenn noch Fragen geklärt werden müssen, ist eine Verschiebung in eine spätere Session möglich. 

Der VfGH gibt seine Entscheidungen durch Zustellung an die Verfahrensparteien oder mündliche Verkündung bekannt. Bis dahin kann der VfGH keine Aussage über die Art der Erledigung eines Falles treffen.

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