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Ausdruck „plemplem“ in Interview-Analyse von Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt 

30.12.2020

VfGH: Kein Verstoß des ORF gegen das Objektivitätsgebot 

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes aufgehoben, mit der dieses eine Verletzung des Objektivitätsgebots durch den ORF festgestellt hatte.

Am 25. Juli 2016 wurde im Fernsehprogramm ORF 2 in der Reihe „Sommergespräche“ ein Interview mit dem Obmann einer damals im Nationalrat vertretenen Partei ausgestrahlt. In der anschließenden Sendung „ZIB 2“ analysierte ein Politik­wissenschaftler das Interview, wobei er den betroffenen Politiker abschließend auch als „plemplem“ bezeichnete; die Moderatorin der „ZIB 2“ distanzierte sich von diesem Ausdruck nicht. 

In der Folge stellte die Kommunikationsbehörde Austria (KommAustria) gemäß dem ORF-Gesetz fest, dass durch diese Aussage und die unterbliebene Distanzierung des ORF das für den ORF geltende Objektivitätsgebot verletzt worden sei. Das Bundes­verwaltungs­gericht (BVwG) bestätigte diese Entscheidung  der KommAustria. 

Nach § 4 Abs. 5 ORF-Gesetz hat der ORF bei der Gestaltung seiner Sendungen und Angebote unter anderem für die Wiedergabe und Vermittlung von für die Allgemeinheit wesentlichen Kommentaren, Standpunkten und kritischen Stellungnahmen unter angemessener Berücksichtigung der Vielfalt der im öffentlichen Leben vertretenen Meinungen (Z 2) und für eigene Kommentare, Sachanalysen und Moderationen unter Wahrung des Grundsatzes der Objektivität (Z 3) zu sorgen. 

Die beanstandete Meinungsäußerung des Politik­wissenschaftlers in der „ZIB 2“ findet jedoch – so der Verfassungsgerichtshof in dem heute zugestellten Erkenntnis – im Gesamtzusammenhang des Themas des Interviews und in dem das Thema mitbestimmenden vorangegangenen „Sommergespräch“ eine nachvollziehbare Grundlage, und die verwendete Formulierung („plemplem“) wahrt die Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit. Gibt ein Politiker durch sein Verhalten und seine Äußerungen dazu Anlass, muss es im Interesse jenes öffentlichen Diskurses, den das Recht auf freie Meinungsäußerung schützt, auch möglich sein, darauf hinzuweisen, „dass der Kaiser nackt ist“. 

Ebenso wenig verstieß es gegen das ORF-Gesetz, dass sich die Moderatorin von dieser Äußerung des Politikwissenschaftlers nicht distanziert hatte. Eine gravierende Missachtung der unmittelbaren Persönlichkeits- und Privatsphäre des betroffenen Politikers, die allenfalls eine Reaktion der Moderatorin erfordert hätte, lag nämlich nicht vor. 

Indem das BVwG – wie die KommAustria – einen Verstoß des ORF gegen das Objektivitätsgebots gesehen hatte, hat es die Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit des ORF verletzt. 

(E 2281/2020)

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