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VfGH befasst sich mit Cannabisverbot, Untersuchungshaft, Zeitungsverkauf

14.06.2022

Auch Beweisanforderungen im Untersuchungsausschuss ein Thema der mehr als 400 Fälle

Der VfGH behandelt derzeit im Rahmen von Beratungen, die auf etwa drei Wochen anberaumt sind, insgesamt über mehr als 400 Anträge und Beschwerden. 

Ein Teil der Fälle bezieht sich auf das Thema COVID-19, worüber in einer Presseaussendung (vom 10. Juni) bereits berichtet wurde. Auf der Tagesordnung stehen auch die folgenden Anträge und Beschwerden.   

Ist das Cannabisverbot im Suchtmittelgesetz unsachlich und unverhältnismäßig? 

Ein Niederösterreicher wendet sich mit einem Individualantrag gegen das im Suchtmittelgesetz verankerte Verbot des Konsums von Cannabis. Angesichts des aktuellen Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Cannabispflanze und ihre Gefährlichkeit sowie der geänderten gesellschaftlichen Anschauungen über den Cannabiskonsum sei das umfassende Verbot des Konsums von Cannabis unverhältnismäßig und unsachlich. 

Es bestehe nämlich nur ein sehr geringes Risiko einer psychischen oder physischen Abhängigkeit. Das Suchtpotenzial sei jedenfalls viel geringer als bei anderen Substanzen wie etwa Nikotin oder Alkohol. Auch die These, dass Cannabis als „Einstiegsdroge“ gelte, sei bereits wissenschaftlich widerlegt. Die angefochtenen Regelungen seien daher nicht mit dem öffentlichen Interesse des Gesundheitsschutzes begründbar.

(G 323/2021 u.a. Zlen.) 

Anträge in Bezug auf den ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss 

Von der ÖVP nominierte Mitglieder des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses beantragen beim VfGH, festzustellen, dass die Justizministerin zwei ergänzenden Beweisanforderungen dieses Untersuchungsausschusses unverzüglich nachzukommen und die Ergebnisse der Beweiserhebungen dem Untersuchungsausschuss vollständig vorzulegen hat. Es geht um die Vorlage elektronischer Kommunikation, die von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) im Zuge ihrer Ermittlungen in der sogenannten Ibiza-Affäre sichergestellt worden ist. Dabei handelt es sich um Chats zwischen dem früheren Generalsekretär im Finanzministerium Thomas Schmid einerseits sowie im Antrag näher genannten Personen mit einem Naheverhältnis zur SPÖ oder FPÖ andererseits. 

Die Justizministerin begründet die bisherige Verzögerung bei der Auswertung der elektronischen Nachrichten damit, dass es wegen des enormen Umfangs der auszuwertenden Daten nicht möglich sei, allen an das Bundesministerium gerichteten Beweisanforderungen gleichzeitig zu entsprechen. Beide Beweisanforderungen seien aus diesem Grund nach wie vor Gegenstand eines Konsultationsverfahrens, um die Tätigkeiten des Untersuchungsausschusses und der Staatsanwaltschaften zu koordinieren. Die antragstellenden Abgeordneten sehen darin jedoch keine ausreichende Begründung für die Nichterfüllung dieser Beweisanforderungen.

(UA 1/2022, UA 2/2022) 

Am 25. Mai dieses Jahres hatten die Mitglieder der ÖVP-Fraktion im Untersuchungsausschuss beantragt, dem Untersuchungsausschuss die gesamte schriftliche und elektronische Kommunikation innerhalb der WKStA, soweit sie mit dem Untersuchungsgegenstand zusammenhängt (und dem Ausschuss nicht bereits vorliegt), zu übermitteln. Der Untersuchungsausschuss lehnte dieses Verlangen am selben Tag mit Beschluss ab; die Mehrheit der Ausschussmitglieder war insbesondere der Ansicht, dass dieses Verlangen in keinem sachlichen Zusammenhang mit dem Gegenstand des Untersuchungsausschusses stehe. 

In derselben Sitzung erklärte der Untersuchungsausschuss auch das Verlangen der ÖVP-Ausschussmitglieder für unzulässig, ihm eine vollständige Kopie des lokal wie serverseitig erfassten Datenbestandes des „Usermail“-Accounts der WKStA, insbesondere E-Mails mit Bezug auf vorgesetzte Dienststellen, vorzulegen.

Die Mitglieder der ÖVP-Fraktion halten beide Beschlüsse für rechtswidrig; insbesondere sei die Ausschussmehrheit ihrer Verpflichtung zur Begründung ihrer ablehnenden Beschlüsse nicht ausreichend nachgekommen.

(UA 3/2022, UA 4/2022) 

Sonntagsverkauf von Zeitungen mit oder ohne Gewerbeberechtigung? 

„SB-Verkäufer“ sind Personen, die an Sonn- und Feiertagen die sogenannten stummen Verkaufsstellen bereitstellen, an denen Tageszeitungen in Selbstbedienung zum Verkauf angeboten werden. Ein solcher SB-Verkäufer beschwert sich gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom Jänner 2021, wonach er für seine Tätigkeit eine Gewerbeberechtigung „Güterbeförderung“ benötige.  

Der SB-Verkäufer ist mit einer GmbH eine Vertriebsvereinbarung eingegangen, die indirekt zu 100 Prozent im Eigentum eines Zeitungsverlages steht. Der Vereinbarung zufolge besteht eine seiner Aufgaben darin, nachmittags die Verkaufsstellen samt den ungeöffneten Kassen und den Verkaufserlösen einzusammeln. Seiner Ansicht nach ist diese Tätigkeit daher als Kleinverkauf von periodischen Druckwerken anzusehen (gemäß § 2 Abs. 1 Z 18 GewO 1994), die von der GewO ausgenommen sei. Die Gewerbeordnung 1994 sei, so der SB-Verkäufer, auch deshalb nicht anzuwenden, weil er – obwohl selbständig erwerbstätig – Printmedien im Auftrag eines Medienunternehmens verbreite und daher die in § 2 GewO 1994 definierte Ausnahme anzuwenden sei. 

Das Verwaltungsgericht Wien wiederum geht in seinem Erkenntnis davon aus, dass es sich um keinen Kleinverkauf handle: Die Tätigkeit des SB-Verkäufers habe keinen (nennenswerten) Bezug zur Abwicklung von Kaufverträgen, da der Verkäufer bei der Kaufhandlung der Endkunden nicht anwesend sei. Es gehe daher um Güterbeförderung. 

Der Beschwerdeführer hält diese Entscheidung für „denkunmöglich“. Er sieht darin eine Verletzung in den Grundrechten auf Meinungsäußerungs- und Medienfreiheit sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz.

(E 1042/2021) 

Zwingende Untersuchungshaft bei schweren Straftaten 

Ein Antrag an den VfGH in Bezug auf die Strafprozessordnung wurde von einem Mann eingebracht, gegen den wegen des Verdachts terroristischer Verbrechen ermittelt wird und der sich seit November 2020 in Untersuchungshaft befindet. 

Die Strafprozessordnung sieht vor, dass Untersuchungshaft – neben weiteren Voraussetzungen – nur verhängt werden darf, wenn bestimmte Haftgründe (Fluchtgefahr, Tatbegehungs- oder Wiederholungsgefahr, Verdunkelungsgefahr) vorliegen. Geht es aber um ein Verbrechen, das mit mindestens zehn Jahren Freiheitsstrafe bestraft wird, ist zwingend die Untersuchungshaft zu verhängen, außer wenn alle Haftgründe (Fluchtgefahr, Tatbegehungs- oder Wiederholungsgefahr, Verdunkelungsgefahr) ausgeschlossen werden können (§ 173 Abs. 6 StPO). Hier sind die Voraussetzungen also im Vergleich zu allen anderen Fällen der Untersuchungshaft gleichsam umgedreht. 

Der Antragsteller sieht in dieser Bestimmung einen Verstoß gegen das Grundrecht auf persönliche Freiheit. Nach dem Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit dürfe die Freiheit einem Menschen nur entzogen werden, wenn einer der in diesem Gesetz genannten Gründe vorliege. Im Fall des § 173 Abs. 6 StPO, so bringt der Mann vor, ist Untersuchungshaft aber auch ohne tatsächliches Vorliegen eines solchen Grundes zu verhängen. Es sei mit den grundrechtlichen Anforderungen nicht vereinbar, dass Untersuchungshaft bereits dann zu verhängen sei, wenn bloß nicht jeder Haftgrund ausgeschlossen werden könne.

(G 53/2022) 

Steht ein Fall auf der Tagesordnung, bedeutet dies nicht automatisch, dass darüber in diesen Tagen entschieden wird. Die Entscheidungen des VfGH werden nach Ende der Beratungen den Verfahrensparteien zugestellt. Erst danach kann der VfGH darüber informieren.

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