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    • 1961: die Habsburg-Krise

      Der Wunsch Otto Habsburg-Lothringens, nach Österreich einzureisen, führte in den 1960er-Jahren zu einer Regierungskrise und beschäftigte die Höchstgerichte.

      Seit 1957 verfügte Otto Habsburg-Lothringen, der Sohn des letzten österreichischen Kaisers Karl, über eine Bestätigung seiner österreichischen Staatsbürgerschaft. Nach Österreich einreisen durfte er wegen des Habsburgergesetzes (StGBl. Nr. 209/1919) vorerst dennoch nicht. In seinem Reisepass war vermerkt, dass dieses Dokument nicht zur Einreise nach bzw. zur Durchreise durch Österreich berechtigte. Die politischen und juristischen Auseinandersetzungen um Habsburg führten bis vor den Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof. Am Höhepunkt der Krise stand seitens der SPÖ der Vorwurf des „Juristenputsches“. Erst 1966 kam Otto Habsburg erstmals nach Österreich.

      Die Wurzeln  des Konflikts reichen zurück in die Anfangsjahre der Republik. Nach dem Ersten Weltkrieg, dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie und der Entstehung der Republik Deutsch-Österreich wurde 1919 „zur Sicherheit der Republik“ mit dem Habsburgergesetz der ehemalige Kaiser Karl unbedingt und die sonstigen Mitglieder des in der Monarchie herrschenden Hauses Habsburg-Lothringen bedingt „des Landes verwiesen“. Letztere konnten gemäß § 2 des Habsburgergesetzes bei Abgabe einer Loyalitätserklärung zur Republik und einem ausdrücklichen Verzicht auf die Mitgliedschaft zum Haus Habsburg-Lothringen sowie daraus gefolgerter Herrschaftsansprüche der Landesverweisung entgehen, sofern die Staatsregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss der Nationalversammlung (nunmehr: die „Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates“) in einer „Festsetzung“ die Erklärung für ausreichend ansah.

      Anfang der 1960er-Jahre war es so weit.  Otto Habsburg-Lothringen legte der Bundesregierung am 5. Juni 1961 eine Erklärung folgenden Inhalts vor und suchte um eine Feststellung an, dass diese Erklärung gem. § 2 Habsburgergesetz ausreichend sei:

      „Ich, Endesgefertigter, erkläre hiermit gemäß § 2 des Gesetzes vom 3. April 1919, Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich Nr. 209, dass ich auf meine Mitgliedschaft zum Hause Habsburg-Lothringen und auf alle aus ihr gefolgerten Herrschaftsansprüche ausdrücklich verzichte und mich als getreuer Staatsbürger der Republik bekenne. Urkund dessen habe ich diese Erklärung eigenhändig unterschrieben. Pöcking, am 31. Mai 1961. Otto Habsburg-Lothringen.“

      Die Bundesregierung konnte darüber aber keine einheitliche Position erzielen. Ein nachträglicher Zusatz zu einem Beschlussprotokoll der Ministerratssitzung vom 21. Juni 1961 enthielt dann den Vermerk, dass der Antrag damit als abgelehnt gelte. In der „Wiener Zeitung“ vom 14. Juni 1961 wurde schließlich amtlich eine Notiz veröffentlicht: „Da keine übereinstimmende Auffassung  zustande kam, gilt die Erklärung bei der gegebenen Verfassungsrechtslage als abgelehnt.“ Eine Weiterleitung der Erklärung an den Hauptausschuss des Nationalrates erfolgte nicht. Der betroffene Otto Habsburg-Lothringen wurde weder mündlich noch schriftlich direkt über das Ergebnis seines Antrags informiert.

      Gegen den „Beschluss“ der Bundesregierung erhob Habsburg-Lothringen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nach Art 144 B-VG. Der VfGH wies die Beschwerde mit Beschluss vom 16. Dezember 1961 (VfSlg 4126) mit der Begründung zurück, dass es sich bei dem zur Entscheidung berufenen Organ „Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates“ um keine Verwaltungsbehörde iSd Art 144 B-VG handle und somit auch kein Bescheid vorliege (sondern – unausgesprochen – so etwas wie ein gerichtsfreier Hoheitsakt). Da die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates handeln müsse, der Hauptausschuss jedoch kein Verwaltungsorgan darstelle, weil dessen Mitglieder über das verfassungsrechtlich garantierte freie Mandat verfügen und damit einer Bindung an die Rechtsansicht des VfGH nicht unterlägen, erklärte sich der VfGH in der Sache für unzuständig.

      Daraufhin wandte sich Habsburg-Lothringen mittels einer Säumnisbeschwerde an den VwGH, der in einem verstärkten Senat mit Erkenntnis vom 24. Mai 1963 (VwSlg 6035 A/1953) schließlich (anstelle der Bundesregierung) feststellte, dass die von Habsburg-Lothringen abgegebene Loyalitätserklärung als ausreichend anzusehen sei, womit die Landesverweisung als aufgehoben galt. Die Mitwirkung des Hauptausschusses des Nationalrates sah der VwGH als derogiert an. Dieses Erkenntnis entfachte sofort einen Proteststurm von Seiten der SPÖ („Juristenputsch“) wie auch der FPÖ. Es kam zu Streiks und Demonstrationen und einem heftigen Schlagabtausch im Parlament. Eine authentische Interpretation des § 2 des Habsburgergesetzes im Verfassungsrang reinstallierte das notwendige Einvernehmen des Hauptausschusses des Nationalrats mit der Bundesregierung (BGBl. 172/1963). Otto Habsburg-Lothringen reiste erstmals 1966 nach Österreich. Die Habsburg-Krise war aber erst 1972 ausgestanden, als anlässlich einer Veranstaltung der Paneuropa-Bewegung in Wien es zu einem denkwürdigen Handschlag zwischen Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) und Otto Habsburg-Lothringen kam.

      Die Begründung des VfGH in VfSlg 4126/1961 wurde später vielfach kritisiert. Man hätte die Zurückweisung auch damit begründen können, dass es überhaupt keinen Beschluss der Bundesregierung gegeben habe, da ja nach herrschender Lehre Ministerratsbeschlüsse einstimmig zu erfolgen haben.

    • Plakat gegen Otto Habsburg, 1960 

      Ein Plakat der KPÖ gegen die Rückkehr von Otto Habsburg-Lothringen, 1960.
      (Foto: ÖNB/Bildarchiv)


      Wiener Zeitung vom 14.6.1961 

      Am 14.06.1961 wird in der Wiener Zeitung amtlich bekanntgegeben, dass sich der Miniterrat in der Frage Otto Habsburg-Lothringen nicht einigen konnte.
      (Foto: VfGH/Pauser)


      Demonstration gegen Otto Habsburg 1968 

      Demonstration gegen die Einreise Otto Habsburg-Lothringens am 23.12.1968.
      (Foto: ÖNB/Bildarchiv)


      Handschlag zwischen Bruno Kreisky und Otto Habsburg 

      Bei der Festveranstaltung zum 50-Jahr-Jubiläum der Pan-Europa-Bewegung  kommt es zum legendären Handschlag zwischen Bruno Kreisky und Otto Habsburg-Lothringen, 1972.
      (Foto: ÖNB/Bildarchiv)

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