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    • 1985: Briefwahl ist verfassungswidrig

      Der Verfassungsgerichtshof erklärte die Briefwahl 1985 am Beispiel Niederösterreich für verfassungswidrig. Erst die Verankerung der Briefwahl im B-VG 2007 machte diese Form der Stimmabgabe möglich.

      Mit seinem Erkenntnis G 18/85 erkannte der VfGH, dass die Briefwahl, wie sie in Niederösterreich 1984 eingeführt worden war, sowohl mit dem wahlrechtlichen Grundsatz des geheimen als auch mit dem des persönlichen Wahlrechts nicht kompatibel und daher verfassungswidrig sei.  

      Die Briefwahl ist eine Form der Wahlteilnahme, die keine physische Präsenz in einem Wahllokal vom Wähler verlangt und daher besonders geeignet erscheint, die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Als erstes Bundesland ließ 1984 Niederösterreich diese Möglichkeit zu, und zwar für Gemeinderatswahlen in Statutarstädten. Noch vor der ersten Anwendung in Wiener Neustadt am 14. April 1985 hob der Verfassungsgerichtshof die entsprechenden Bestimmungen der Niederösterreichischen Wahlordnung für Statutarstädte, LGBl 0360-2, allerdings auf. Der VfGH führte im Erkenntnis vom 16.03.1985, VfSlg 10.412, aus, dass die Durchführung einer Briefwahl im Widerspruch zu den genannten verfassungsrechtlichen Wahlprinzipien der persönlichen und geheimen Wahl stehe. 

      Der VfGH stützte sich bei seiner Argumentation maßgeblich darauf, dass die Wahlen zum Gemeinderat gem. Art 117 Abs. 2 1. Satz B-VG aufgrund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlrechtes aller Staatsbürger durchzuführen sind. Von einer geheimen Wahl könne nach Meinung des VfGH nur dann gesprochen werden, wenn es sowohl der Wahlbehörde als auch außenstehenden Dritten absolut unmöglich sei, die individuellen Wahlentscheidungen einzelner Personen nachzuvollziehen. Bei Einführung einer Briefwahl würden jene Sicherheitsvorkehrungen wegfallen, die in Wahllokalen ein unbeeinflusstes und unbeobachtetes Ausfüllen des Stimmzettels garantieren. Zudem sah der VfGH auch einen Verstoß gegen das persönliche Wahlrecht, da bei der Briefwahl das für die Ausübung des persönlichen Wahlrechts essentielle Merkmal der persönlichen Anwesenheit des Wählers bei Stimmabgabe fehle. Er hielt somit an seiner bisherigen Rechtsprechung fest (vgl VfSlg 4483/1963, 4713/1964) und hob die Bestimmungen zur Briefwahl als verfassungswidrig auf.

      Trotz dieser Entscheidung ist die Briefwahl zwischenzeitlich österreichweit etabliert. Möglich wurde dies, weil der Bundesverfassungsgesetzgeber entsprechende verfassungsgesetzliche Grundlagen geschaffen hat.  Mit einer Novelle des Bundes-Verfassungsgesetzes (BGBl I 2007/27) wurden die Voraussetzungen und der Vorgang der Durchführung einer Briefwahl in Art 26 Abs 6 B-VG verankert, womit diese selbst nun Teil der verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätze sind und die Briefwahl seitdem in allen Wahlgängen in Österreich durchgeführt werden kann.

    • Wahlordnung für Statutarstädte, NÖ LGBl 0360-2 

      Die angefochtene Wahlordnung für Statutarstädte, NÖ LGBl 0360-2.
      (Foto: VfGH/Pauser)

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