Weitere Entscheidungen des VfGH zu COVID-19-Regelungen
Zahlreiche Entscheidungen aus den jüngsten Beratungen des VfGH über Anträge zu Maßnahmen gegen COVID-19 wurden mittlerweile ausgefertigt und heute den Verfahrensparteien zugestellt. Daher kann der VfGH nun dazu Auskunft geben.
Maskenpflicht im Handel
Abgewiesen wurde ein Antrag des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich auf Feststellung, dass die Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Kundenbereich in geschlossenen Räumen in Betriebsstätten gesetzwidrig war (§ 2 Abs. 1a COVID-19-Lockerungsverordnung idF BGBl. II 398/2020). Diese Bestimmung war vom 14. bis einschließlich 20. September 2020 in Kraft. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat nämlich hinreichend dargelegt, auf Grund welcher tatsächlichen Umstände die strittige Regelung erfolgt ist; diese Maskenpflicht verstieß daher nicht gegen das COVID-19-Maßnahmengesetz.
(V 35/2021)
Ein ähnlicher, früherer Antrag des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich bezog sich auf die Stammfassung der COVID-19-Lockerungsverordnung (BGBl. II 197/2020), auf Grund derer im Mai 2020 eine Maskenpflicht im Handel gegolten hatte. In diesem Fall hatte es der Gesundheitsminister verabsäumt, nachvollziehbar festzuhalten, warum er die im Handel geltende Maskenpflicht für erforderlich hielt. Diese Bestimmung war daher gesetzwidrig.
(V 587/2020)
Verbot von „Click & Collect“ im Spätherbst 2020 war verhältnismäßig
Erfolglos blieb ein Antrag, mit dem die Handelskette IKEA das Verbot des Betretens und des Befahrens des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und damit auch das Verbot von „Click and Collect“ im November 2020 (§ 5 Abs. 1 Z 1 COVID-19-Notmaßnahmenverordnung idF BGBl. II 528/2020) angefochten hatte, also das Abholen bereits bezahlter Ware. Der VfGH stellte fest, dass der mit dem Verbot verbundene Eingriff in das Grundrecht der Erwerbsfreiheit bzw. in das Eigentumsgrundrecht angesichts der epidemiologischen Lage verhältnismäßig war, zumal das angefochtene Verbot nur für einen Zeitraum von zehn Tagen galt und der Onlinehandel zu keinem Zeitpunkt untersagt war. Der VfGH verweist in der Entscheidung auch darauf, dass der Gesundheitsminister zuvor noch versucht hatte, die Verbreitung von COVID-19 durch die Anordnung gelinderer Maßnahmen zu verhindern. Der VfGH erkannte auch keine unsachliche Ungleichbehandlung darin, dass im gleichen Zeitraum die Abholung von Speisen und Getränken erlaubt war, da deren ständige Verfügbarkeit als Güter der Grundversorgung essentiell ist.
(V 592/2020)
Papier- und Schreibwarenhandel: Ausweichen auf Online-Handel war zumutbar
Auch im Hinblick auf Betriebe, die mit Papier- und Schreibwaren handeln, verstieß das genannte Verbot des Betretens und des Befahrens des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels vom November 2020 nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Zwar, so stellte der VfGH fest, sind Papier- und Schreibwaren für den Alltag vieler Menschen, die sich während der COVID-19-Pandemie im Home-Office oder im Distanzunterricht befinden, besonders wichtig; der Verordnungsgeber konnte aber in einer Durchschnittsbetrachtung vertretbar davon ausgehen, dass für die Kundinnen und Kunden ein vorübergehendes Ausweichen auf den Online-Handel zumutbar war. Der VfGH stellte auch keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheit der Erwerbsbetätigung bzw. keine unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkung fest.
(V 593/2020)
Begräbnisse: Beschränkung auf 50 Teilnehmer war unverhältnismäßig
Als verfassungswidrig hat der VfGH eine Bestimmung in der 2. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung aufgehoben, wonach bei Begräbnissen die Zahl der Teilnehmer mit 50 Personen begrenzt war. Eine Oberösterreicherin – sie konnte am Begräbnis ihrer Tante nicht teilnehmen – hatte Teile der Verordnung angefochten, die ab 26. Dezember 2020 für einige Wochen in Kraft gewesen war. Die Beschränkung war, so der VfGH, bei gesamthafter Betrachtung unverhältnismäßig: Zwar verfolgte die Maßnahme legitime Ziele und war dazu auch geeignet, jedoch ist die letzte Verabschiedung von nahestehenden Verstorbenen weder wiederhol- noch substituierbar und stellt daher einen besonders schweren Eingriff in das Recht auf Privatleben dar (Art. 8 EMRK).
Hingegen erachtete der VfGH das Verbot des Betretens (Befahrens) des Kundenbereichs von Betriebsstätten zur Inanspruchnahme von körpernahen Dienstleistungen (z.B. Massage) – die Oberösterreicherin hatte auch dieses angefochten – im Hinblick auf die damaligen epidemiologischen Verhältnisse als sachlich gerechtfertigt, ebenso die ab 26. Dezember 2020 geltende ganztägige Ausgangsregelung.
(V 2/2021)
Testpflicht bei Ausreise aus Tirol war verhältnismäßig
Die Testpflicht für die Ausreise aus Tirol bzw. aus den Tiroler Bezirken Kufstein und Schwaz im Februar bzw. März 2021 war gesetzeskonform; der VfGH hat Anträge mehrerer Einzelpersonen sowie des Landesverwaltungsgerichtes Tirol, die dies in Frage gestellt hatten, abgewiesen. Diese Einschränkung des Rechts auf Freizügigkeit war zum Schutz vor der Verbreitung bestimmter Virusvarianten von COVID-19 („südafrikanische“ bzw. „britische“ Mutation) verhältnismäßig. Da dem Bundesminister für Gesundheit bzw. den Bezirkshauptmannschaften Kufstein und Schwaz zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung Studien vorlagen, wonach sich Personen mit Antikörpern gegen COVID-19 nochmals mit den Virusvarianten anstecken könnten, war die Testpflicht als Bedingung für die Ausreise auch für Personen sachlich gerechtfertigt, die bereits eine Infektion mit COVID-19 durchlaufen hatten.
(V 87/2021 u.a. Zlen.)
Verkehrsbeschränkung in Nenzing: Unternehmen im Recht auf Gleichheit verletzt
Stattgegeben hat der VfGH der Beschwerde eines Vorarlberger Unternehmens, in dem es um eine Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 21. März 2020 ging. Die Verordnung hatte das Betreten und das Verlassen der Ortsteile Nenzing-Dorf und Beschling in der Gemeinde Nenzing verboten. Dem Epidemiegesetz 1950 folgend hatte das Unternehmen drei Arbeitnehmern aus Nenzing das Entgelt weiterbezahlt und dafür Ersatz nach dem Epidemiegesetz 1950 beantragt. Der VfGH entschied nunmehr, dass das – formal auf das COVID-19-Maßnahmengesetz gestützte – Verbot des Verlassens bestimmter Ortsteile in Nenzing in diesem Gesetz keine Grundlage findet. Es handelt sich vielmehr um eine Verkehrsbeschränkung nach dem Epidemiegesetz 1950, das für diesen Fall grundsätzlich einen Ersatzanspruch vorsieht. Indem das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg diesen Anspruch allein auf Grund der Promulgationsklausel der Verordnung verneint hat („Die Bezirkshauptmannschaft Bludenz verordnet als zuständige Behörde gemäß § 2 Z. 3 des COVID-19-Maßnahmengesetzes…“), hat es das Unternehmen im Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt.
Der VfGH hat daher die angefochtene Entscheidung aufgehoben. Im fortgesetzten Verfahren hat das Landesverwaltungsgericht zu prüfen, ob ein Anspruch auf Vergütung nach dem Epidemiegesetz 1950 an sich besteht und ob das Unternehmen Zahlungen erhalten hat, die auf diesen Anspruch anzurechnen sind.
(E 4044/2020)