Richterbank und rechtsprechende Tätigkeit
Ernennung und Zusammensetzung
Alle Mitglieder und Ersatzmitglieder des Verfassungsgerichtshofes müssen Juristen sein und mindestens zehn Jahre einen Beruf ausgeübt haben, für den der Abschluss des Studiums der Rechtswissenschaften oder (vormals) der rechts- und staatswissenschaftlichen Studien vorgeschrieben ist (Art. 147 Abs. 3 B-VG).
Die Mitglieder und Ersatzmitglieder werden vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung, des Nationalrates oder des Bundesrates ernannt. Die Bundesregierung erstellt Vorschläge für den Präsidenten, den Vizepräsidenten, sechs Mitglieder und drei Ersatzmitglieder. Der Nationalrat schlägt drei Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder vor; dem Bundesrat kommt das Vorschlagsrecht für drei Mitglieder und ein Ersatzmitglied zu. Während der Nationalrat und der Bundesrat Juristen jedweder Berufssparte (also auch Rechtsanwälte, Notare oder in der Wirtschaft oder in Verbänden tätige Personen) vorzuschlagen berechtigt sind, darf die Bundesregierung nur Personen vorschlagen, die Richter, Verwaltungsbeamte oder Professoren eines rechtswissenschaftlichen Faches an einer Universität sind (Art. 147 Abs. 2 B-VG). Drei Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder müssen ihren ständigen Wohnsitz außerhalb der Bundeshauptstadt Wien haben. Diese Art der Besetzung dient der Sicherung der Pluralität von Standpunkten innerhalb des Höchstgerichts, und zwar sowohl was den regionalen als auch den beruflichen, aber auch den politisch-weltanschaulichen Hintergrund anbelangt.
Nicht angehören dürfen dem Verfassungsgerichtshof Mitglieder der Bundes- oder einer Landesregierung, Mitglieder des Nationalrates, des Bundesrates, eines Landtages oder eines Gemeinderates (in Wien: auch der Bezirksvertretungen); auch Personen, die Angestellte oder sonstige Funktionäre einer politischen Partei sind, können nicht Mitglied des Verfassungsgerichtshofes sein (Art. 147 Abs. 4 B-VG).
Alle Mitglieder üben ihre Funktion als Verfassungsrichter bzw. Verfassungsrichterin grundsätzlich neben ihrem angestammten Beruf aus. Lediglich Verwaltungsbeamte müssen wegen der sonst weiter bestehenden, mit der Ausübung des Richteramtes aber unvereinbaren Weisungsgebundenheit unter Entfall ihrer Bezüge außer Dienst gestellt werden (Art. 147 Abs. 2 B-VG).
Für die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Verfassungsgerichtshofes gelten die richterlichen Garantien der Unabhängigkeit, Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit (Art. 147 Abs. 6 B-VG), d.h. sie sind in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden und werden nicht für eine bestimmte Funktionsperiode ernannt. Das Amt endet vielmehr am 31. Dezember jenes Jahres, in dem der Richter das 70. Lebensjahr vollendet hat. Im Übrigen kann ein Mitglied (Ersatzmitglied) seines Amtes nur durch eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes selbst enthoben werden.
Klare Vorschriften im Verfassungsgerichtshofgesetz (unter Verweis auf die Regelungen der Jurisdiktionsnorm für die Befangenheit von Richtern an ordentlichen Gerichten) stellen sicher, dass Mitglieder und Ersatzmitglieder des Gerichtshofes an Beratungen und Entscheidungen nicht teilnehmen, wenn im konkreten Fall auch nur der Anschein einer Befangenheit entstehen könnte. In der Praxis zeigt das betreffende Mitglied die Befangenheit der Präsidentin/des Präsidenten an. Diese lädt dann zur Beratung des betreffenden Falles ein Ersatzmitglied. Ob ein Ausschließungsgrund vorliegt, entscheidet der Verfassungsgerichtshof selbst. Die Ablehnung eines Mitglieds (Ersatzmitglieds) durch eine Verfahrenspartei ist nicht zulässig.
Organisation der Rechtsprechung
Der Verfassungsgerichtshof wählt aus seiner Mitte für die Dauer von drei Jahren in geheimer Wahl so genannte Ständige Referenten, welche die Aufgabe haben, die im Einzelnen anfallenden Rechtssachen für die Erledigung vorzubereiten. Eine Wiederwahl ist zulässig und wird auch regelmäßig vorgenommen. Die Anzahl der Ständigen Referenten bestimmt der Gerichtshof selbst. Mit Stand Jänner 2024 sind elf Mitglieder sowie die Vizepräsidentin als Ständige Referenten tätig.
Die Sitzungen des Verfassungsgerichtshofes werden vom Präsidenten nach Bedarf angeordnet; in der Praxis hat sich ein Sessionensystem bewährt, d.h. der Verfassungsgerichtshof tagt nicht – wie etwa der Verwaltungsgerichtshof oder die ordentlichen Gerichte – in Permanenz, sondern in der Regel vier Mal im Jahr für jeweils drei Wochen, und zwar im März, im Juni, im Oktober und im Dezember. Diese Zeit ist der intensiven Beratung und Verhandlung der zwischen den Sessionen vorbereiteten Rechtsfälle gewidmet. Im Bedarfsfall setzt der Präsident auch eine ein- oder mehrtägige „Zwischensession“ an.
Der Verfassungsgerichtshof entscheidet grundsätzlich in voller Besetzung, d.h. in Anwesenheit des Präsidenten, des Vizepräsidenten und der übrigen zwölf Mitglieder (Plenum). Alle Fälle von grundlegender Bedeutung werden in dieser Besetzung behandelt. Fälle, bei denen vor allem Rechtsfragen zu lösen sind, deren Bedeutung nicht über den konkreten Einzelfall hinausgeht oder die in früheren Entscheidungen bereits gelöst wurden, werden – nicht zuletzt auf Grund der großen Anzahl von Anträgen und Beschwerden, die jährlich an den Verfassungsgerichtshof herangetragen werden – in so genannter Kleiner Besetzung entschieden. In der Praxis besteht diese aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und vier weiteren Mitgliedern. Jedes Mitglied kann jedoch verlangen, dass ein für die Kleine Besetzung vorgesehener Fall im Plenum beraten wird.
Der Präsident teilt die eingehenden Rechtssachen einem Referenten zu, legt die Beratungsordnung fest, ordnet die Verhandlungen an, führt den Vorsitz bei den Verhandlungen und Beratungen und unterfertigt die Entscheidungen und Protokolle. Er hat auch – bei voller Wahrung der Unabhängigkeit der Mitglieder – auf eine möglichst einheitliche Rechtsprechung hinzuwirken.
Der Präsident wird im Fall seiner Verhinderung (z.B. infolge Krankheit, dienstlicher oder urlaubsbedingter Abwesenheit, Befangenheit) vom Vizepräsidenten, wenn auch dieser verhindert ist, vom ältesten in Wien anwesenden Mitglied vertreten. Unabhängig von einer Verhinderung kann der Präsident dem Vizepräsidenten den Vorsitz bei Verhandlungen und Beratungen übertragen.
Im Falle der Verhinderung einer Verfassungsrichterin oder eines Verfassungsrichters ist ein Ersatzmitglied zu laden. Dabei ist nach Möglichkeit ein Ersatzmitglied auszuwählen, das auf Vorschlag desselben Gremiums ernannt worden ist wie das verhinderte Mitglied. Fällt ein Verfassungsrichter oder eine Verfassungsrichterin aus, nachdem die Beratung eines Falles bereits begonnen hat, kann ein Ersatzmitglied nicht mehr beigezogen werden.
Die Beratungen und Abstimmungen sind nicht öffentlich. Entscheidungen werden grundsätzlich mit unbedingter Stimmenmehrheit gefasst. Der Vorsitzende stimmt nicht mit, es sei denn, es kommt (infolge Fehlens eines Mitgliedes) zur Stimmengleichheit. In diesem Fall ist die bzw. der Vorsitzende allerdings verpflichtet, seine Stimme abzugeben, die dann den Ausschlag gibt (Dirimierungsrecht).