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Grundversorgung mit Strom und Erdgas: Bundesgesetzliche Bestimmungen sind verfassungskonform

28.03.2024

Regelung im NÖ Elektrizitätswesengesetz 2005 wegen Verstoßes gegen Grundsätze der Grundversorgung aber aufgehoben

Die bundesgesetzlichen Bestimmungen über die Grundversorgung mit Strom und Erdgas sind nicht verfassungswidrig. Das hat die Prüfung von Bestimmungen des Elektrizitätswirtschafts- und ‑organisationsgesetzes 2010 (ElWOG 2010) und des Gaswirtschaftsgesetzes 2011 (GWG 2011) ergeben. Den Anlass für die Einleitung dieses Gesetzesprüfungsverfahrens bildeten Anträge bzw. Beschwerden von Energieversorgungsunternehmen sowie des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien. 

Die relevanten Gesetzesbestimmungen sehen vor, dass Strom- und Gasversorgungsunternehmen verpflichtet sind, Haushaltskunden (Verbraucher), die sich ihnen gegenüber auf das Recht auf Grundversorgung berufen, mit Strom bzw. Gas zu beliefern (§ 77 Abs. 1 ElWOG 2010 und § 124 Abs. 2 GWG 2011). Der Tarif dieser Grundversorgung darf dabei nicht höher sein als jener Tarif, zu dem das Energieversorgungsunternehmen die größte Anzahl seiner Haushaltskunden bisher versorgt (§ 77 Abs. 2 ElWOG 2010 und § 124 Abs. 2 GWG 2011). 

Der VfGH war in seinem Prüfungsbeschluss vom Oktober 2023 vorläufig davon ausgegangen, dass diese Bestimmungen vor dem Hintergrund des Unionsrechts unterschiedlich ausgelegt werden können und je nach Auslegung zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in Grundrechte der betroffenen Energieversorgungsunternehmen führen könnten. 

Diese Bedenken konnten jedoch im Gesetzesprüfungsverfahren zerstreut werden. Die Grundversorgung mit Energie hat, so der VfGH, den Zweck, die Versorgung aller Haushaltskunden zu wettbewerbsfähigen und diskriminierungsfreien Preisen sicherzustellen. Die Grundversorgungspflicht liegt insofern im öffentlichen Interesse, und sie ist – auch angesichts der selbst in der Energiepreiskrise geringen Anzahl von Kunden, die die Grundversorgung in Anspruch genommen haben – weder unverhältnismäßig noch unsachlich.  

Der VfGH hat daher festgestellt, dass die Gesetzesbestimmungen im ElWOG 2010 und im GWG 2011 über die Grundversorgung nicht als verfassungswidrig aufgehoben werden.

(G 1102/2023 ua Zlen) 

Kündigungsrecht des Stromversorgers gegenüber Grundversorgungskunden verstößt gegen das ElWOG 2010 

Den Anlass für die Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens zu § 77 ElWOG 2010 bildeten u.a. Anträge des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien an den VfGH, die darauf abzielten, eine Bestimmung des NÖ Elektrizitätswesengesetzes 2005 (NÖ ElWG 2005) aufzuheben. 

Einige Konsumenten hatten von ihrem Stromversorgungsunternehmen verlangt, mit Strom zum Tarif der Grundversorgung beliefert zu werden. Das Unternehmen lehnte die Grundversorgung aber ab, weil bereits ein aufrechter Stromliefervertrag bestehe oder ein Vertrag angeboten worden sei. Das Stromversorgungsunternehmen berief sich dabei jeweils auf § 45 Abs. 6 NÖ ElWG 2005, wonach die Grundversorgung mit Strom vom Energieversorgungsunternehmen u.a. dann gekündigt werden darf, wenn es dem Haushaltskunden möglich ist, einen Stromliefervertrag mit einem anderen Stromversorgungsunternehmen außerhalb der Grundversorgung abzuschließen.

Der VfGH teilt die Bedenken des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien, dass diese landesgesetzliche Regelung gegen die Vorgaben des § 77 ElWOG 2010 verstößt. Wäre es einem Stromversorgungsunternehmen gestattet, einen Haushaltskunden auf die Möglichkeit eines Vertragsabschlusses mit einem anderen Unternehmen zu verweisen, würde die Tarifobergrenze der Grundversorgung (wie sie § 77 Abs. 2 ElWOG 2010 als Grundsatz vorgibt) unterlaufen werden. Diese Tarifobergrenze ist nämlich für das andere Unternehmen nicht bindend.

Damit verstößt die landesgesetzlich eingeräumte Kündigungsmöglichkeit gegen das im ElWOG 2010 verankerte Recht auf Grundversorgung zu wettbewerbsfähigen und diskriminierungsfreien Preisen. Der VfGH hat daher § 45 Abs. 6 Satz 2 NÖ ElWG 2005 als grundsatzgesetz- und damit verfassungswidrig aufgehoben. Die verfassungswidrige Bestimmung tritt mit sofortiger Wirkung außer Kraft.

(G 122/2023 ua Zlen.)

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