Navigation öffnen
Inhalt

Oktober-Session: Entscheidungen zu Vorarlberger Gemeinde-Volksabstimmung und steirischem Einkaufszentrum 

23.10.2020

Bestimmungen von zwei Landesgesetzen verfassungswidrig

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat in zwei heute veröffentlichten Entscheidungen landesgesetzliche Bestimmungen für verfassungswidrig befunden. Aus Anlass einer Gemeindevolksabstimmung in Ludesch werden Bestimmungen des Vorarlberger Gemeindegesetzes und des Landes-Volksabstimmungsgesetzes aufgehoben. Im Zusammenhang mit der Prüfung einer früheren Verordnung betreffend die Shopping City Seiersberg hebt der VfGH eine Bestimmung des Steiermärkischen Landes-Straßenverwaltungsgesetzes auf.

Volksabstimmung in Ludesch: Gesetz verstößt gegen Grundsatz der repräsentativen Demokratie

Das Vorarlberger Gemeindegesetz sieht vor, dass Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde durch eine Volksabstimmung (Abstimmung der Stimmberechtigten der Gemeinde) entschieden werden können. Eine solche Volksabstimmung ist etwa dann abzuhalten, wenn eine bestimmte Mindestanzahl der Stimmberechtigten der Gemeinde dies verlangt. Nach dem Landes-Volksabstimmungsgesetz ersetzt eine derartige Entscheidung des Volkes die Entscheidung des sonst zuständigen Gemeindeorganes.

Der VfGH hat entschieden, dass ein solches Modell der Volksabstimmung dem repräsentativ-demokratischen System der Gemeindeselbstverwaltung widerspricht. 

Die Bundesverfassung hat die Gemeindeselbstverwaltung als repräsentativ-demokratisches System eingerichtet. Im Mittelpunkt dieses Systems steht der Gemeinderat, der vom Gemeindevolk gewählt wird und dem alle anderen Gemeindeorgane für die Erfüllung der Aufgaben der Gemeinde verantwortlich sind. Zwar hat der VfGH keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen verbindliche Gemeindevolksabstimmungen, denen eine Willensbildung des Gemeinderates zugrunde liegt – entweder indem der Gemeinderat die Volksabstimmung selbst einleitet oder indem er ihr Ergebnis für verbindlich erklärt. Das repräsentativ-demokratische System der Gemeindeselbstverwaltung schließt es jedoch aus, den Gemeinderat auch gegen seinen Willen durch eine Volksabstimmung an eine bestimmte Entscheidung zu binden.

Der VfGH hat daher Bestimmungen des Gemeindegesetzes und des Landes-Volksabstimmungsgesetzes als verfassungswidrig aufgehoben, und zwar jene, die festlegen, dass Volksabstimmungen mit bindender Wirkung auf Verlangen von Stimmberechtigten der Gemeinde auch ohne Zustimmung des Gemeinderates durchzuführen sind.

(G 166/2020 ua. Zlen.) 

Anlass für die amtswegige Prüfung und Aufhebung dieser Bestimmungen war die Volksabstimmung in der Gemeinde Ludesch vom 10. November 2019 betreffend eine mögliche Umwidmung von Flächen im Neugut (Näheres dazu hier). Stimmberechtigte der Gemeinde hatten die Volksabstimmung verlangt; andere Stimmberechtige fochten das Ergebnis an.   

Da der VfGH die gesetzliche Grundlage für solche Volksabstimmungen aufgehoben hat, waren die Anordnung und die Durchführung der Ludescher Volksabstimmung gesetzwidrig. Der VfGH gab daher der Anfechtung statt und sprach aus, dass das Verfahren zu dieser Volksabstimmung zur Gänze aufgehoben wird. Die Entscheidung über die Widmung der betreffenden Grundstücke liegt damit wieder in der alleinigen Verantwortung des Gemeinderates.

(W III 2/2019)  

Seiersberg: Frühere gesetzliche Grundlage für Teile der Shopping City verfassungswidrig 

Der VfGH hat die Begriffsbestimmung betreffend öffentliche Interessentenwege im Steiermärkischen Landes-Straßenverwaltungsgesetz 1964 (LStVG) als verfassungswidrig aufgehoben. Anlass für diese Entscheidung war ein Antrag der Volksanwaltschaft an den VfGH, eine Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Seiersberg-Pirka als gesetzwidrig aufzuheben. Mit dieser Verordnung waren Verbindungsbauwerke in der Shopping City Seiersberg als öffentliche Interessentenwege eingeordnet worden. Die nun aufgehobene Bestimmung im LStVG war die gesetzliche Grundlage dieser Verordnung.  

Der VfGH erachtete diese Bestimmung des LStVG deshalb als verfassungswidrig, weil sie dem Sachlichkeitsgebot und den verfassungsrechtlichen Schranken der Gemeindeautonomie widerspricht: Die aufgehobene Bestimmung hatte vorgesehen, dass Straßen auch dann zu öffentlichen Interessentenwegen erklärt werden können, wenn sie nicht bloß örtliche Bedeutung für den öffentlichen Verkehr haben. Mit dem Entfall dieses Kriteriums war diese Straßengattung aber nicht mehr eindeutig von anderen Straßengattungen abgrenzbar, was – so der VfGH – einen unsachlichen Wertungswiderspruch zum System des LStVG bedeutete. 

Verkehrsflächen, deren Bedeutung über den überwiegend lokalen Verkehr hinausgeht, dürfen aber auch nicht der Gemeinde zur autonomen Verwaltung überlassen werden. Die Neuregelung der Kategorie des öffentlichen Interessentenwegs verstieß insofern auch gegen die verfassungsrechtlichen Schranken der Gemeindeautonomie. 

Die nun aufgehobene Bestimmung war Teil einer Gesetzesnovelle, die vom Landtag 2016 beschlossen worden war, nachdem der VfGH zuvor schon Verordnungen aufgehoben hatte, die (unter anderem) Verbindungsbauten in der Shopping City Seiersberg betrafen. In der Zwischenzeit hat sich die rechtliche Grundlage für das Einkaufszentrum geändert, indem die Landesregierung im Mai 2020 eine Einzelstandortverordnung nach dem Steiermärkischen Raumordnungsgesetz erlassen hat.

(G 259/2019) 

Zum Seitenanfang