ORF-Beitrag und abweichende Kündigungsfristen bei Saisonbetrieben
Eine Reihe von Entscheidungen des VfGH wurde heute den jeweiligen Verfahrensparteien zugestellt, darunter die beiden folgenden.
Gegen die „Haushaltsabgabe“ ist ein anderer Rechtsweg zumutbar
Der VfGH hat einen Antrag, demzufolge der ORF-Beitrag verfassungswidrig sei, als unzulässig zurückgewiesen. Insgesamt 331 Personen, von denen die Mehrheit kein Fernsehgerät besitzt, hatten sich mit einem sogenannten Individualantrag auf Gesetzesprüfung an den VfGH gewendet (mehr dazu hier).
Individualanträge sind nur unter bestimmten Bedingungen zulässig; nur wenn diese erfüllt sind, kann der VfGH solche Anträge inhaltlich prüfen. Unter anderem darf es für die Antragsteller keinen anderen zumutbaren Rechtsweg geben, auf dem sie die von ihnen behauptete Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes geltend machen können.
Im vorliegenden Fall können die Antragsteller aber, wie der VfGH feststellt, bei einer Zahlungsaufforderung von der ORF-Beitrags Service GmbH einen Bescheid über die Festsetzung ihres ORF-Beitrags („Haushaltsabgabe“) verlangen, ohne dafür ein Strafverfahren provozieren zu müssen. Gegen einen solchen Bescheid ist dann eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) möglich, dessen Entscheidung wiederum beim VfGH mit der Begründung angefochten werden kann, dass der ORF-Beitrag verfassungswidrig sei. Im Übrigen ist auch das BVwG befugt, das ORF-Beitragsgesetz beim VfGH anzufechten. Der Individualantrag war daher zurückzuweisen.
(G 17/2024)
Abweichende Kündigungsfristen für Branchen mit vielen Saisonbetrieben sind verfassungskonform
Abgewiesen wurden Anträge mehrerer ordentlicher Gerichte, die sich gegen die im ABGB (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch) vorgesehene Möglichkeit richteten, im Kollektivvertrag für Branchen mit vielen Saisonbetrieben andere Kündigungsfristen festzulegen als jene, die nach dem ABGB für Branchen gelten, in denen Saisonbetriebe nicht überwiegen.
Gemäß § 1159 ABGB können Dienstverhältnisse vom Arbeitgeber mit Ablauf eines jeden Kalendervierteljahres gekündigt werden. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen und erhöht sich mit der Dauer des Dienstverhältnisses auf maximal fünf Monate. Durch Kollektivvertrag können andere Regelungen getroffen werden, jedoch nur für Branchen, „in denen Saisonbetriebe überwiegen“. Diese abweichenden Regelungen gelten dann auch für Betriebe derselben Branche, die keine Saisonbetriebe sind.
Der Oberste Gerichtshof (OGH) sowie Arbeits- und Sozialgerichte aus mehreren Bundesländern brachten vor, die Ermächtigung zu anderen Kündigungsregelungen verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Bestimmtheitsgebot (Art. 18 Abs. 1 B-VG; Gesetze müssen einen Inhalt haben, durch den das Verhalten der Behörde oder des Gerichts vorherbestimmt ist).
Zwar kann es, stellt der VfGH fest, schwierig sein festzustellen, wie viele Saisonbetriebe es in einer Branche gibt; dazu kommt, dass sich die Zahl der Saisonbetriebe in einer Branche ändern kann. Diese Schwierigkeit bedeutet aber nicht, dass die angefochtenen Regelungen gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßen. Es ist vielmehr Aufgabe der ordentlichen Gerichte, durch Auslegung des Gesetzes näher zu bestimmen, welche (zeitlichen) Voraussetzungen vorliegen müssen, damit davon gesprochen werden kann, dass in einer Branche Saisonbetriebe überwiegen. Dass es dabei nicht auf eine Momentaufnahme ankommen kann, hat der OGH bereits selbst im März 2022 entschieden und ausgeführt, dass der Begriff des „Überwiegens“ einen gewissen längeren Zeitraum erfasst.
Auch der Gleichheitsgrundsatz ist nicht verletzt. Es liegt im Wesen von Kollektivverträgen bzw. ist ihr Ziel, innerhalb einer Branche einheitliche Mindestbedingungen für alle Betriebe zu schaffen, auch wenn diese z.B. unterschiedlich groß sind. Dagegen hat der VfGH keine verfassungs- und damit auch keine gleichheitsrechtlichen Bedenken.
(G 29/2024 u.a.)