VfGH weist Anträge zu Suizidhilfe und Sterbeverfügung im Wesentlichen ab
Das Verbot der „Mitwirkung an der Selbsttötung“ (Suizidhilfe) verstößt nicht gegen die Verfassung und bleibt aufrecht (§ 78 StGB). Ebenso hat der VfGH keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Sterbeverfügungsgesetz und die darin geregelten Voraussetzungen, unter denen eine sterbewillige Person Hilfe zur Selbsttötung in Anspruch nehmen kann. Der VfGH hat daher zwei gegen diese Bestimmungen gerichtete Anträge im Wesentlichen abgewiesen. Verfassungswidrig ist es jedoch, dass nach dem Ablauf der Gültigkeitsdauer von einem Jahr für eine neue Sterbeverfügung ein aufwändiges Verfahren durchlaufen werden muss.
Die Anträge, die der Entscheidung zugrunde liegen, wurden 2023 von einem Verein und vier Personen, darunter zwei Schwerkranke und ein Arzt, eingebracht. Sie argumentierten unter anderem, durch die vorgeschriebenen „zeitraubenden und kostspieligen“ Formalitäten werde leidenden Menschen ein rascher, begleiteter und selbstbestimmter Tod unter Inanspruchnahme der Hilfe Dritter praktisch unmöglich gemacht.
Regelung der Sterbehilfe durch den Gesetzgeber im Jahr 2022
Bereits 2020 hat der VfGH auf Antrag von u.a. denselben zwei Schwerkranken einen Teil des damals geltenden Straftatbestandes des Verbrechens der Mitwirkung an der Selbsttötung (§ 78 StGB) als verfassungswidrig aufgehoben: Er verstieß gegen das Recht auf Selbstbestimmung, weil er jede Art der Hilfeleistung unter allen Umständen verbot.
In der Folge wurde im Jahr 2021 das Sterbeverfügungsgesetz (StVfG) erlassen. Wer sein Leben selbst beenden möchte, kann nun unter bestimmten Voraussetzungen eine Sterbeverfügung errichten: Dafür muss die sterbewillige Person an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit oder an einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen leiden (§ 6 Abs. 3 StVfG). Eine Sterbeverfügung ist schriftlich vor z.B. einem Notar zu errichten (§ 8); davor muss eine Aufklärung durch zwei Ärzte erfolgen, die unabhängig voneinander bestätigen, dass die sterbewillige Person entscheidungsfähig ist und einen freien und selbstbestimmten Entschluss gefasst hat (§ 7). Eine wirksame Sterbeverfügung ermöglicht es der sterbewilligen Person, zum Zweck der Selbsttötung von einer öffentlichen Apotheke ein tödliches Präparat zu beziehen.
Mit der Erlassung des StVfG wurde der Straftatbestand der „Mitwirkung an der Selbsttötung“ (§ 78 StGB) neu gefasst. Wer einer anderen volljährigen Person physisch hilft, sich selbst zu töten, ist weiterhin mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen, es sei denn, die andere Person leidet an einer Krankheit im Sinne des § 6 Abs. 3 StVfG und wurde entsprechend § 7 StVfG ärztlich aufgeklärt und die Hilfeleistung erfolgt ohne verwerflichen Beweggrund.
Verfassungskonformität der Sterbeverfügung
Das StVfG, stellt der VfGH in seiner Entscheidung fest, schafft in Verbindung mit der Neufassung des § 78 StGB Rechtssicherheit für Hilfe leistende Dritte. Diese Hilfeleistung ist (schon dann) straflos, wenn die sterbewillige volljährige Person an einer unheilbaren tödlichen oder schweren dauerhaften Krankheit leidet, nach dem Sterbeverfügungsgesetz ärztlich aufgeklärt worden ist und die Hilfe nicht aus einem verwerflichen Beweggrund erfolgt; eine wirksame Sterbeverfügung muss aber nicht vorliegen.
Es ist zulässig, dass die sterbewillige Person nur dann die Hilfe eines Dritten in Anspruch nehmen oder ein tödliches Präparat beziehen kann, wenn die suizidwillige Person an einer unheilbaren tödlichen oder schweren, dauerhaften Krankheit leidet. Diese Einschränkung verstößt nicht gegen das Recht auf freie Selbstbestimmung.
Es ist verfassungsrechtlich auch unbedenklich, dass eine sterbewillige Person durch zwei Ärzte aufgeklärt werden muss, wobei einer dieser Ärzte eine palliativmedizinische Qualifikation aufzuweisen hat (§ 7 StVfG). Diese Regelung soll sicherstellen, dass die sterbewillige Person eine informierte Entscheidung treffen kann. Der VfGH geht davon aus, dass genügend – auch palliativmedizinisch ausgebildete – Ärzte zur Aufklärung bereit sind, um die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen zu ermöglichen.
Ebenso ist es zulässig, dass die Sterbeverfügung (außer im Endstadium einer Krankheit) frühestens 12 Wochen nach der ersten ärztlichen Aufklärung errichtet werden kann. Auch diese Regelung dient dem Zweck, sicherzustellen, dass die Entscheidung der sterbewilligen Person auf einem dauerhaften Entschluss beruht.
Verfassungswidrigkeit der Regelung über die Erneuerung der Sterbeverfügung
Es ist jedoch sachlich nicht gerechtfertigt, dass als Folge der Unwirksamkeit der Sterbeverfügung unter allen Umständen nach einem Jahr die sterbewillige Person für die neuerliche Sterbeverfügung das gesamte im Gesetz vorgesehene, aufwändige Verfahren durchlaufen muss. Zur Beseitigung dieser Verfassungswidrigkeit hat der VfGH daher die Wortfolge „sowie nach Ablauf eines Jahres nach ihrer Errichtung“ in § 10 Abs. 2 StVfG als verfassungswidrig aufgehoben. Diese Aufhebung tritt mit 1. Juni 2026 in Kraft.
Werbeverbot teilweise verfassungswidrig
Das in § 12 Abs. 1 StVfG enthaltene Verbot der Werbung für die Hilfeleistung zur Selbsttötung ist nur insoweit verfassungskonform, als es sich auf das „Anpreisen“ bezieht. Es ist jedoch verfassungswidrig und verstößt gegen das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art. 10 EMRK, dass das Gesetz auch unter Strafe stellt, wenn jemand die eigene oder fremde Hilfeleistung oder Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zur Selbsttötung geeignet sind, unter Hinweis auf die Eignung anbietet oder ankündigt. Der VfGH hat daher die Wortfolge in § 12 Abs. 1 StVfG „anbietet, ankündigt oder“ als verfassungswidrig aufgehoben.
(G 229-230/2023, G 2272-2273/2023)