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Sozialversicherungs-Organisationsreform: vierzehn Anträge in öffentlicher mündlicher Verhandlung des VfGH

08.10.2019

Verhandlung am Dienstag, 8.10., sowie am Mittwoch, 9.10.2019.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hält am Dienstag, 8.10., 10.00-14.00 Uhr, sowie am Mittwoch, 9.10.2019, 09.00–17.00 Uhr, eine öffentliche mündliche Verhandlung zum Themenkomplex „Sozialversicherungs-Organisationsreform“ ab. Beim VfGH sind im Zusammenhang mit dem Sozialversicherungs-Organisationsgesetz (SV-OG) und dem Bundesgesetz über die Prüfung lohnabhängiger Abgaben und Beiträge (PLABG) insgesamt vierzehn Anträge auf Gesetzesprüfung eingelangt. Antragsteller sind:

  • 21 Mitglieder des Bundesrates;
  • die Kärntner, die Oberösterreichische, die Steiermärkische und die Tiroler Gebietskrankenkasse;
  • die Betriebskrankenkassen voestalpine Bahnsysteme, Kapfenberg, Zeltweg und Mondi;
  • die Arbeiterkammern Tirol, Vorarlberg und Wien sowie die Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte;
  • der Österreichische Seniorenrat;
  • der Betriebsrat der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse;
  • das Landesgericht Linz als Arbeits- und Sozialgericht;
  • mehrere bei den Gebietskrankenkassen und Betriebskrankenkassen Versicherte;
  • 113 Dienstnehmer, die in die Verwaltungskörper von Sozialversicherungsträgern entsendet worden sind.

14 Anträge zur Sozialversicherungs-Organisationsreform gingen beim VfGH ein. 
Hohes Interesse an öffentlicher mündlicher Verhandlung am 8. Oktober 2019.
Der VfGH hat die Anträge gemäß den §§ 187 und 404 ZPO iVm § 35 Abs. 1 VfGG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und den Verfahrensparteien im Vorfeld der Verhandlung einen Fragenkatalog übermittelt. Die Kritikpunkte der Anträge wurden für die Verhandlung zu fünf Themenkomplexen gebündelt. Diese beziehen sich auf die Zusammenlegung von Versicherungsträgern, die Übertragung der Sozialversicherungsprüfung, die Dienstgeber-/Dienstnehmerparität, die Entsendebefugnisse sowie weitere Organisationsrechts- und andere Fragen.

Zur Zusammenlegung von Versicherungsträgern

Das SV-OG führt die neun Gebietskrankenkassen (GKK) mit Wirkung ab 1. Jänner 2020 zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) zusammen (§ 538t ASVG). Die fünf bestehenden Betriebskrankenkassen (BKK) werden aufgelöst (§ 718 Abs. 8 ASVG); ihr Vermögen wird (grundsätzlich) der Österreichischen Gesundheitskasse zugeschlagen (§ 718 Abs. 8a ASVG). Weiters werden die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter und die Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau zur Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau fusioniert. Ein erheblicher Teil der vorliegenden, eingangs referierten Anträge wendet sich – ungeachtet weiterer Detailfragen – gegen diese Zusammenlegungen an sich, vor allem gegen die Fusion der Gebietskrankenkassen und der (meisten) Betriebskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse, und bringt dazu verfassungsrechtliche Bedenken vor, insbesondere das Bedenken, dass die Zusammenlegung nicht zu Einsparungen, sondern vielmehr zu Kostensteigerungen führen und damit dem Effizienzprinzip der Bundesverfassung widerstreiten würde.

Zur Übertragung der Sozialversicherungsprüfung

Die Antragsteller, die sich gegen diese Reorganisationsmaßnahme wenden, bringen unter anderem verfassungsrechtliche Bedenken dahingehend vor, dass die Durchführung der Sozialversicherungsprüfung von Verfassungs wegen eine den Sozialversicherungsträgern garantierte Aufgabe sei.  Auch sei die Zuweisung des Personals der Sozialversicherungsprüfung zum Bund ohne Zustimmung der betroffenen Dienstnehmer verfassungswidrig.  

Zur Dienstgeber-/Dienstnehmerparität

Die Organe der Sozialversicherungsträger setzen sich aus – im Wesentlichen von Interessenvertretungen entsandten – Vertretern der Dienstgeber und der Dienstnehmer zusammen. Jene Antragsteller, die sich gegen diesen Regelungskomplex wenden, bringen unter anderem das verfassungsrechtliche Bedenken vor, die künftige Rechtslage verstoße gegen Grundsätze der Selbstverwaltung, nämlich den Grundsatz, dass nur Mitglieder in den entscheidenden Organen vertreten sein dürften (wohingegen Dienstgeber „Außenstehende“ seien); die künftige Rechtslage verstoße auch gegen das Demokratiegebot des Art. 120c Abs. 1 B-VG. 

Zu den Entsendebefugnissen

§ 421 ASVG regelt die Entsendung von Versicherungsvertretern in die Organe der nach dem ASVG organisierten Sozialversicherungsträger. Grundsätzlich sind die Versicherungsvertreter von den geschäftsführenden Organen der örtlich und sachlich zuständigen öffentlich-rechtlichen Interessenvertretungen zu entsenden. Infolge der Zusammenlegung  der Gebiets- und Betriebskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse, weiters infolge der Verminderung der Zahl von Versicherungsvertretern überhaupt sowie letztlich infolge der angeordneten Dienstgeber- und Dienstnehmerparität in den Organen haben die zuständigen Interessenvertretungen der Dienstnehmer nicht mehr so viele Versicherungsvertreter zu entsenden wie zuvor. Weiters führt die Zusammenlegung der länderweisen Gebietskrankenkassen zur bundesweiten Österreichischen Gesundheitskasse dazu, dass die Landes-Arbeiterkammern Entsendebefugnisse zu Gunsten der Bundesarbeitskammer verlieren.

Da die Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau ab 2020 nicht mehr existieren soll, entfällt auch die diesbezügliche Entsendebefugnis der Bundesarbeitskammer nach § 421 Abs. 1a ASVG in der bisher geltenden Fassung. § 133 B-KUVG sieht hingegen für die neue Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau keine entsprechende Entsendebefugnis der Bundesarbeitskammer, sondern eine Entsendebefugnis des zuständigen Bundesministers (auf Vorschlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes) vor. Schließlich haben Seniorenorganisationen grundsätzlich keine Befugnisse zur Entsendung von Versicherungsvertretern in die Organe der Österreichischen Gesundheitskasse und der Pensionsversicherungsanstalt. Soweit allerdings § 426 Abs. 2 Z 3 ASVG künftig die Entsendung von drei Seniorenvertretern vorsieht, ist § 435 Abs. 4 ASVG nF zu beachten, wonach die Seniorenvertreter an den Sitzungen der Hauptversammlungen nur mit beratender Stimme teilnehmen.

Gegen diese Rechtslage bringen sowohl die Bundesarbeitskammer als auch mehrere Landesarbeiterkammern als auch der Österreichische Seniorenrat verfassungsrechtliche Bedenken vor.  

Weitere Organisationsrechts- und andere Fragen

Die meisten Antragsteller bringen weitere Bedenken gegen verschiedene weitere Organisations- und Aufsichtsrechtsvorschriften im Hinblick auf die in den Art. 120a ff. B-VG vorgesehenen Grundsätze der Selbstverwaltung vor, insbesondere auch im Hinblick auf das Demokratiegebot nach Art. 120c Abs. 1 B-VG. Auch im Zusammenhang mit diesem Themenkreis hat der Verfassungsgerichtshof mehrere Fragen an die Antragsteller übermittelt. Darüber hinaus bietet dieser Themenkreis die Möglichkeit, weitere Fragen (wie zum Beispiel aus dem Bereich des Arbeitslosenversicherungsrechts) zu erörtern, die von den bisher besprochenen Themenkreisen noch nicht erfasst waren.

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