„Der VfGH steht im Dialog, muss aber bei schutzwürdigen Interessen Kontrolle besonders ernst nehmen“
Dem Verfassungsgerichtshof ist als Hüter der Verfassung die verbindliche Interpretation der österreichischen Verfassung anvertraut. Das Gericht nimmt diese Aufgabe freilich nicht in einem „luftleeren Raum“ wahr, sondern es steht dabei in einem Dialog mit anderen staatlichen Instanzen und gesellschaftlichen Kräften, stellte der Salzburger Universitätsprofessor Walter Berka am 13. Juli in einem Vortrag im Verfassungsgerichtshof (VfGH) fest. Der Vortrag fand im Rahmen der Vortragsreihe „100 Jahre Verfassungsgerichtshof“ statt. Mit ihr erinnert das Gericht an seine Gründung im Jahre 1920.
Nach Professor Berka bezieht der VfGH in seiner Rechtsprechung die Judikatur anderer nationaler und internationaler Höchstgerichte, die rechtswissenschaftliche Lehre und die Anwendung der Verfassung durch die übrigen staatlichen Höchstorgane ein. Vor allem bei der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze tritt er in einen intensiven Dialog mit dem Gesetzgeber, dessen politische Zielsetzungen und Bewertungen er im Rahmen der ihm übertragenen Kontrolle berücksichtigt. Bei dieser Aufgabe muss der Gerichtshof den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum respektieren, der in der Demokratie dem Gesetzgeber zusteht.
Berka zufolge muss die Verfassungsgerichtsbarkeit ihre entsprechenden Kontrollbefugnisse aber dann besonders ernst nehmen, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass im Gesetzgebungsverfahren schutzwürdige Interessen vernachlässigt oder diejenigen Werte beeinträchtigt werden, die wie die Werte der Freiheit, Gleichheit und menschlichen Würde im Zentrum der verfassungsrechtlichen Gewährleistung stehen. Als Beispiel dafür nannte der Salzburger Universitätsprofessor die jüngere Judikatur zur Ausgestaltung der Mindestsicherung: Bei den von der Frage betroffenen Gruppen – Ausländer, sozial hilfsbedürftigen Menschen und deren Kinder – handle es sich um Menschen, deren Bedürfnisse bei Mehrheitsentscheidungen leicht vernachlässigt werden können.
Den Ansatz, die grundrechtlich geschützten Interessen Einzelner oder von Minderheiten besonders prononciert aufzunehmen, habe der VfGH auch mit seinen Entscheidungen zur Vorratsdatenspeicherung oder zum „Bundestrojaner“ verfolgt. An sich, so führte Walter Berka aus, könne man die angemessene Auflösung von Spannungsverhältnissen wie jenem zwischen Sicherheit und Freiheit – ebenso wie dem aktuellen zwischen Gesundheit und Freiheit – als rechtspolitische Aufgabe sehen, die vom Gesetzgeber unter Einbeziehung der Civil Society zu entscheiden wäre. Allerdings hätten der VfGH und auch andere Verfassungsgerichte Datensammlungen einer strikten Kontrolle unterworfen. Dem liegt laut Berka „wohl die Einschätzung zugrunde, dass die Privatsphäre und mit ihr die Autonomie des Einzelnen in unserer Zeit in besonderer Weise bedroht sind“. Auch wenn eine solche Vorrangstellung der Privacy dogmatisch gar nicht so leicht begründbar sei, sei das „eine Einschätzung, der man schwerlich widersprechen kann“.
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