Verfassungsgerichtshof berät zu Mindestsicherung und Anfechtung der Nationalratswahl 2017
Der Verfassungsgerichtshof hat am Montag, 26. Februar 2018, die Beratungen der Märzsession 2018 aufgenommen. Auf dem Programm stehen ua die niederösterreichische Mindestsicherung, eine Anfechtung der Nationalratswahl 2017, die Frage eines weiteren Geschlechts (neben „weiblich“ und „männlich“) sowie ein „Drittelantrag“ der FPÖ im Wiener Landtag auf Aufhebung von Bestimmungen in der Wiener Bauordnung im Zusammenhang mit der Unterbringung von Asylwerbern.
Die Session steht erstmals unter der Leitung von Brigitte Bierlein als neuer Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes, Christoph Grabenwarter ist neuer Vizepräsident. Wolfgang Brandstetter, der am Dienstag, 27. Februar 2017, angelobt wird, nimmt erstmals als Mitglied des Gerichtshofes an den Beratungen teil.
Nach dem Ausscheiden von insgesamt drei Mitgliedern zu Jahresende 2017 sind damit vorerst zwei der insgesamt 14 Richterstellen nicht besetzt. Um die Richterbank zu komplettieren, werden daher Personen aus dem Kreis der sechs Ersatzmitglieder zugezogen – so wie dies auch für den Fall der Verhinderung bzw. Befangenheit von Mitgliedern üblich ist.
Anders ist die Vorgangsweise bei Rechtssachen, die bereits in der vergangenen Session anberaten wurden: Weil Richterinnen und Richter als Voraussetzung für die Teilnahme an der Abstimmung während der gesamten Beratungen anwesend sein müssen, rücken in diesen Fällen keine Ersatzmitglieder nach. Die Beratungen werden daher in verringerter Besetzung fortgesetzt.
Der Verfassungsgerichtshof ist dennoch voll handlungsfähig: Laut Verfassungsgerichtshofgesetz müssen neben der Präsidentin wenigstens acht weitere Mitglieder anwesend sein, um die Beschlussfähigkeit herzustellen.
Die Session dauert bis 17. März 2018. Vorerst ist keine mündliche Verhandlung vorgesehen.
Die Aufnahme von Fällen auf die Tagesordnung bedeutet nicht automatisch, dass diese Fälle auch in dieser Session entschieden werden. Wenn noch Fragen geklärt werden müssen, ist eine Verschiebung in die nächste Session möglich. Vor Beginn der Beratungen kann außerdem keine Aussage über die Art der Erledigung getroffen werden.
Sind eine „Deckelung" und eine Wartefrist bei der Mindestsicherung verfassungskonform?
Das niederösterreichische Mindestsicherungsgesetz sieht seit 1. Jänner 2017 eine Wartefrist vor. Wer sich nicht mindestens fünf der vergangenen sechs Jahre in Österreich aufgehalten hat, kann statt der Mindestsicherung nur eine geringere Leistung gemäß den „Mindeststandards – Integration“ beziehen.
Außerdem ist eine Deckelung eingeführt worden: Leben mehrere Personen in einem Haushalt bzw. einer Wohngemeinschaft, dürfen sie zusammen höchstens € 1.500,– aus der Mindestsicherung beziehen.
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat aus Anlass mehrerer Beschwerden gegen Bescheide, die auf diesen Bestimmungen basieren, beim VfGH die Aufhebung dieser Bestimmungen beantragt. Nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes verstoßen die Wartefrist und die Deckelung ua gegen das Gebot der Gleichbehandlung und der Sachlichkeit.
Im Fall der nö Mindestsicherung werden die Beratungen aus der Dezembersession 2017 fortgesetzt.
Anfechtung der Nationalratswahl vom 15. Oktober 2017
Die Liste „Für Österreich, Zuwanderungsstopp, Grenzschutz, Neutralität, EU-Austritt (EUAUS)" hat das Ergebnis der Nationalratswahl vom 15. Oktober 2017 angefochten. EUAUS behauptet Verstöße gegen Bestimmungen der Nationalratswahlordnung, so etwa im Zusammenhang mit dem dritten Ermittlungsverfahren und der Reihung der Parteien auf den Stimmzetteln.
Auch wird die Verfassungswidrigkeit gesetzlicher Bestimmungen vorgebracht: Nach dem Vorbringen würde die Briefwahl gegen die in der Bundesverfassung verankerten Grundsätze des Wahlrechts verstoßen.
Ein weiterer Geschlechtseintrag im Personenstandsregister neben weiblich und männlich?
„Inter“, „anders“, „unbestimmt“ oder einfach „X“, jedenfalls nicht „männlich“ oder „weiblich“: So wollte eine Person aus Oberösterreich ihr Geschlecht im Zentralen Personenstandsregister eintragen lassen. Der zuständige Bürgermeister lehnte dieses Verlangen aber ebenso ab wie später das Landesverwaltungsgericht. Gegen die Entscheidung des letzteren richtet sich nun eine Beschwerde der betroffenen Person beim Verfassungsgerichtshof. Der Antrag macht eine Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten geltend, darunter dem auf Achtung des Privatlebens, auf Datenwahrheit sowie auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung auf Grund des Geschlechts.
FPÖ im Wiener Landtag bekämpft Novelle der Bauordnung zur leichteren Schaffung von Flüchtlingsunterkünften
34 freiheitliche Abgeordnete zum Wiener Landtag haben einen Drittelantrag auf Aufhebung des § 71c der Wiener Bauordnung eingebracht. Der Wiener Landtag hat im März 2016 eine Novelle zur Bauordnung beschlossen, die für die Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften Erleichterungen vorsieht.
Konkret geht es um die „vorübergehende Unterbringung einer größeren Anzahl von Personen auf Grund von bereits eingetretenen oder bevorstehenden Ereignissen, insbesondere Naturereignissen, oder auf Grund völkerrechtlicher, unionsrechtlicher oder Verpflichtungen der Gemeinde bzw. des Landes gegenüber dem Bund oder aus humanitären Gründen“.
In diesem Fall sind baurechtliche Sonderbestimmungen vorgesehen, wenn die Unterbringung staatlich organisiert ist. So ist bei Nutzung rechtmäßig bestehender Gebäude oder Neu- bzw. Zubauten in Leichtbauweise – zB mittels Containern – für die Dauer von sechs Monaten gar keine Baubewilligung nötig, wenn grundlegende Sicherheits- und Hygienevorkehrungen eingehalten werden. Bei einer längeren Nutzung bis zu fünf Jahren sowie für den Fall von Bauarbeiten ist zwar eine Baubewilligung nötig, für diese gelten aber Erleichterungen.
Ist das Bettelverbot in Feldkirch zulässig?
Dem Verfassungsgerichtshof liegt die Beschwerde einer rumänischen Staatsangehörigen vor, die wegen Bettelns in der Innenstadt von Feldkirch eine Verwaltungsstrafe bezahlen soll. Das Landesverwaltungsgericht hat das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch bestätigt. Die Beschwerdeführerin bezieht sich auf bisherige Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes und macht geltend, dass das Feldkircher Bettelverbot wegen mangelnder zeitlicher und örtlicher Beschränkung gesetzwidrig sei.