Handysicherstellung und Pensionserhöhung wichtige Themen der kommenden VfGH-Beratungen
In den nächsten Wochen berät der VfGH über mehrere hundert Anträge und Beschwerden, darunter die folgenden:
Ist die Sicherstellung von Mobiltelefonen gemäß Strafprozessordnung verfassungswidrig?
Einige Gesetzesbestimmungen zur Sicherstellung von Mobiltelefonen seien verfassungswidrig, wie ein Kärntner Unternehmer vorbringt, gegen den wegen Untreue ermittelt wird. Ein Handy könne bereits „unter geringsten Voraussetzungen“ sichergestellt werden, die Maßnahme erlaube aber einen umfassenden Eingriff in die Privatsphäre. Dies verstößt nach Ansicht des Antragstellers gegen das Recht auf Privatleben und auf Datenschutz. Weitere Informationen zu diesem Fall sind hier (Punkt III.1.) zu finden; der VfGH hat in der Sache auch eine öffentliche Verhandlung durchgeführt.
(G 352/2021)
Antrag von SPÖ und FPÖ gegen aliquotierte Pensionserhöhung
69 Abgeordnete der SPÖ und der FPÖ stellen den Antrag, die Bestimmungen über die erste jährliche Anpassung von Pensionsleistungen als verfassungswidrig aufzuheben.
Nach den angefochtenen Bestimmungen (z.B. § 108h ASVG für Pensionen, die von der Pensionsversicherungsanstalt ausbezahlt werden) sind grundsätzlich alle Pensionen ab 1. Jänner eines jeden Jahres mit dem Anpassungsfaktor zu multiplizieren. Bei der ersten Pensionsanpassung gilt jedoch eine Aliquotierung, die sich danach bestimmt, in welchen Monat der Stichtag fällt (der Tag, ab dem eine Pension bezogen wird). So erhalten nur Personen, die mit 1. Jänner in Pension gehen, zum folgenden Jahresersten die volle Erhöhung. Bei einem späteren Pensionsantritt ist die erste Erhöhung für jeden Monat um 10 Prozentpunkte geringer, und Personen, die mit 1. November oder 1. Dezember in Pension gehen, erhalten ab 1. Jänner des übernächsten Jahres eine Anpassung.
Die antragstellenden Abgeordneten sind der Meinung, dass diese Regelung gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße. Insbesondere sei es sachlich nicht gerechtfertigt, Versicherte allein wegen ihres Geburtsdatums bei Pensionserhöhungen zu benachteiligen; dies umso weniger, als derzeit alle Pensionsbezieher von erheblichen Inflationsverlusten betroffen seien.
Der VfGH behandelt in dieser Frage überdies etwa 470 Anträge von Betroffenen sowie weitere rund 110 Anträge von Arbeits- und Sozialgerichten.
(G 197/2023 u.a.)
Verfassungsrechtliche Anforderungen der Verwaltungsorganisation bei der Betreuungsagentur erfüllt?
Seit Juni 2019 ist ausschließlich die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (BBU), die zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes steht, damit betraut, die Rechtsberatung von Asylwerbern für Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) durchzuführen. Die Geschäftsführung wird vom Bundesminister für Inneres, die Bereichsleitung Rechtsberatung von der Bundesministerin für Justiz bestellt.
Der VfGH hat aus Anlass mehrerer Beschwerden von Asylwerbern gegen Erkenntnisse des BVwG Bedenken, ob die Bestimmungen über die Durchführung der Rechtsberatung und ‑vertretung durch die BBU den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 20 B-VG entsprechen. Nach Art. 20 Abs. 1 B-VG wird die Verwaltung von grundsätzlich weisungsgebundenen Organen unter der Leitung der obersten Organe des Bundes und der Länder (Bundesminister, Landesregierungen) geführt. In einem Gesetzesprüfungsverfahren prüft der VfGH, ob diese Voraussetzungen auch für die BBU gelten und, wenn ja, ob die Vorgaben der Bundesverfassung durch das BBU-Errichtungsgesetz eingehalten wurden. Dabei stellt sich die Frage, wie die Rechtsberatung und -vertretung durch die BBU rechtlich einzuordnen ist. Weitere Informationen zu diesem Fall sind hier (Punkt V.1.) zu finden; der VfGH hat in der Sache auch eine öffentliche Verhandlung durchgeführt.
(G 328/2022)
Ackerboxen und das Öffnungszeitengesetz
Der Geschäftsführer einer GmbH, die an fünf Standorten sogenannte Ackerboxen betreibt, hat sich wegen einer Strafe nach dem Öffnungszeitengesetz an den VfGH gewendet.
Diese Ackerboxen sind Selbstbedienungscontainer, die mit dem Boden nicht fest verbunden sind und in denen sich unter anderem eine Heizung, Kühlschränke und eine Klimaanlage befinden. Der Kunde betritt den Container und bezahlt die ausgewählten Produkte selbständig an einem Bezahlterminal. Es werden landwirtschaftliche Erzeugnisse angeboten, die von der GmbH selbst und auch von anderen Landwirten sowie von Bäckern und Fleischern aus der Umgebung hergestellt werden.
Da zwei Ackerboxen auch am Samstag bzw. Sonntag zu bestimmten Uhrzeiten geöffnet waren, bestrafte die Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau den Geschäftsführer. Das Landesverwaltungsgericht Kärnten wies die dagegen erhobene Beschwerde ab. Ackerboxen seien nämlich Selbstbedienungsbetriebe; als solche fielen sie unter das Öffnungszeitengesetz.
Der Geschäftsführer hält diese Entscheidung für verfassungswidrig: Ackerboxen seien als Automaten zu qualifizieren, und diese seien vom Öffnungszeitengesetz ausgenommen. Zudem handle es sich um Bauernmärkte; auf solche Märkte sei das Öffnungszeitengesetz ebenso wenig anzuwenden.
Die angefochtene Strafentscheidung verstoße insofern sowohl gegen den Gleichheitsgrundsatz als auch gegen das Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung.
(E 1604/2022)
Gewaltprävention: Beratungspflicht und mangelnde Überprüfbarkeit von Annäherungsverboten verfassungswidrig?
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG NÖ) hält es für verfassungswidrig, dass polizeiliche Betretungs- und Annäherungsverbote vom Verwaltungsgericht nur beschränkt überprüft werden können. Das Verwaltungsgericht Wien (VwG Wien) und das Landesverwaltungsgericht Tirol (LVwG Tirol) haben hingegen Bedenken dagegen, dass eine Person, gegen die von der Polizei ein Betretungs- und Annäherungsverbot erlassen wurde, automatisch an einer Gewaltpräventionsberatung teilnehmen muss.
Nach dem Sicherheitspolizeigesetz (SPG) kann die Polizei gegen Personen, von denen anzunehmen ist, dass sie einen (weiteren) gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit eines anderen begehen werden, ein Betretungs- und Annäherungsverbot erlassen. Im Fall eines solchen Verbots ist der Gefährder verpflichtet, binnen fünf Tagen eine Beratungsstelle für Gewaltprävention zur Vereinbarung einer Gewaltpräventionsberatung zu kontaktieren und an der Beratung aktiv teilzunehmen (§ 38a Abs. 8 SPG). Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung kann als Verwaltungsübertretung bestraft werden.
Das LVwG NÖ kritisiert vor allem, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Betretungs- und Annäherungsverbotes an den von den einschreitenden Beamten als maßgeblich erachteten Sachverhalt gebunden sei; dies verstoße gegen das Grundrecht auf effektiven Zugang zu einem Gericht.
Nach Ansicht des VwG Wien und des LVwG Tirol ist es zwar hinnehmbar, dass die einschreitenden Beamten zum vorläufigen Schutz einer möglicherweise gefährdeten Person einer unter Umständen „unschuldigen“ Streitpartei die Verantwortung als „Gefährder“ zuweisen und gegen sie ein Betretungs- und Annäherungsverbot aussprechen. Es sei jedoch verfassungswidrig, diese Sicherungsmaßnahme mit der Teilnahmepflicht an einer Gewaltpräventionsberatung zu verknüpfen. Der Betroffene habe vor dem Wirksamwerden kein Rechtsmittel gegen eine Teilnahmepflicht, daher widerspreche die Regelung rechtsstaatlichen Anforderungen.
(G 105/2023 u.a., G 590/2023 u.a.)
Ist die Verordnung der FMA betreffend Immobilienkredite zu strikt?
Ein Vorarlberger, der eine Wohnung kaufen möchte, stellt den Antrag, Teile einer Verordnung der Finanzmarktaufsicht (FMA) in Bezug auf die Vergabe von Immobilienkrediten als gesetzwidrig aufzuheben. Konkret geht es um die Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung (KIM-V).
Mit der 2022 erlassenen KIM-V werden Maßnahmen festgelegt, die – auf Basis der Empfehlungen des Finanzmarktstabilitätsgremiums und der gutachterlichen Äußerung der Oesterreichischen Nationalbank – Veränderungen des systemischen Risikos bei Fremdkapitalfinanzierungen von Immobilien vermindern sollen.
Die Verordnung führt insbesondere dazu, dass Kreditinstitute Obergrenzen für neu vereinbarte private Immobilienkredite einhalten müssen, wobei eine Ausnahme für Kreditnehmer vorgesehen ist, deren gesamten Kreditverbindlichkeiten € 50.000, – nicht übersteigen. Auch verfügt jedes Kreditinstitut über ein Ausnahmekontingent.
Der Antragsteller wollte eine Eigentumswohnung um € 190.000,– zuzüglich Nebenkosten kaufen. Da die Wohnung zu sanieren gewesen wäre, wurde ein weiteres Sanierungsdarlehen in der Höhe von € 11.000,– in den Kreditantrag integriert. An Eigenmitteln waren € 30.000,– vorhanden, sodass rund € 180.000,– zu finanzieren gewesen wären. Die monatliche Rate für einen Euro-Annuitätenkredit auf 30 Jahre mit einem Fixzinssatz auf 10 Jahre wäre bei rund € 900,– gelegen. Gemäß Haushaltsrechnung wäre die Schuldendienstquote dadurch bei rund 50 % des Einkommens gelegen.
Laut der KIM-V darf jedoch bei privaten Wohnkrediten die Schuldendienstquote nicht mehr als 40 % betragen. Auch würde der Kredit für den Vorarlberger die höchstmögliche Beleihungsquote (90 %) überschreiten. Da das Ausnahmekontingent der finanzierenden Bank bereits ausgeschöpft war, konnte die gewünschte Finanzierung nicht gewährt werden.
Der Antragsteller bringt vor, dass diese Beschränkungen gegen das Bankwesengesetz (BWG) verstoßen. Nach dem BWG dürfen derartige Beschränkungen nämlich nur dann erlassen werden, wenn systemische Risiken aus Fremdkapitalfinanzierungen von Immobilien mit möglichen negativen Auswirkungen auf die Finanzmarktstabilität vorliegen. Diese Voraussetzung sei, so der Antragsteller, schon bei der Erlassung der Verordnung nicht vorgelegen: Die Vergabe von Wohnraumfinanzierungen sei nämlich seit mehreren Jahren – als direkte Folge der Immobilien- und Finanzkrise 2008 – anderen strikten Regelungen unterworfen.
(V 329/2023)
Beschwerde gegen Entscheidung, mit der Pumpspeicherkraftwerk Koralm nicht bewilligt wurde
Die Projektgesellschaft für ein Pumpspeicherkraftwerk auf der Koralm hat beim VfGH Beschwerde gegen eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) erhoben, mit welcher dieses den Bau des Kraftwerks nicht bewilligt hat.
2013 stellte die Steiermärkische Landesregierung fest, dass für die Errichtung und den Betrieb eines Pumpspeicherkraftwerks auf der Koralm eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchzuführen ist. Als Grund nannte sie, dass dieses Kraftwerk erhebliche negative Auswirkungen auf das – mit der Landschaftsschutzgebietsverordnung 1981 festgelegte – Landschaftsschutzgebiet „Koralpe“ haben könne.
2015 erließ die Landesregierung eine neue Verordnung, mit der sie das Landschaftsschutzgebiet um rund 70 Prozent verkleinerte. Sie stellte daraufhin auch fest, dass für das Kraftwerk keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen sei, weil es nun außerhalb des Landschaftsschutzgebietes liegen würde. Das Bundesverwaltungsgericht blieb hingegen dabei, dass das Kraftwerk weiterhin UVP-pflichtig sei. Auf seine Lage komme es nicht an.
Das Verfahren wurde daher von der Steiermärkischen Landesregierung als UVP-Verfahren fortgeführt; 2021 wurde das Pumpspeicherwerk Koralm bewilligt.
Gegen diese Bewilligung beschwerten sich mehrere Umweltorganisationen, eine Bürgerinitiative, die Umweltanwältin der Steiermark, das Bundesdenkmalamt, die Gemeinde Schwanberg und sechs Privatpersonen beim BVwG. In der Folge entschied das BVwG, dass die Bewilligung gegen das Stmk. Naturschutzgesetz 2017 verstoße. Die Koralpe sei nämlich bereits im Jahr 2015 als Natura-2000-Gebiet an die Europäische Kommission gemeldet, aber noch nicht als Europaschutzgebiet ausgewiesen worden. Bis dahin seien aber nach dem Naturschutzgesetz alle Handlungen verboten, die das Gebiet beeinträchtigen könnten. Mangels Ausweisung als Europaschutzgebiet sei es dem BVwG zudem nicht möglich, die erforderliche Naturverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Dazu komme, dass die 2015 erfolgte Meldung eines stark verkleinerten Gebietes gegen unionsrechtliche Vorgaben verstoße.
Gegen diese Entscheidung des BVwG hat die Projektgesellschaft nun Beschwerde an den VfGH erhoben. Darin bringt sie vor, dass das BVwG das Naturschutzgesetz falsch ausgelegt habe und die Naturverträglichkeit des Vorhabens jedenfalls inhaltlich zu prüfen gehabt hätte. Weiters verstoße die 2015 erfolgte Verkleinerung des Schutzgebietes „Koralpe“ gegen die Alpenkonvention.
(E 2600/2023)
Vollspaltenböden bei Schweinehaltung neuerlich Thema
Die Burgenländische Landesregierung wendet sich erneut gegen die Haltungsbedingungen von Schweinen in Ställen. Ein erster Antrag an den VfGH war 2022 als zu eng gefasst zurückgewiesen worden (siehe hier).
Die Landesregierung stellt den Antrag, näher bezeichnete Bestimmungen des Tierschutzgesetzes (in der Fassung 2022) sowie der 1. Tierhaltungsverordnung aufzuheben. Diese wurden 2022 geändert und sehen nun unter anderem ein Verbot von unstruktuierten Vollspaltenbuchten ohne Funktionsbereich vor, wobei für bestehende Betriebe diese Regelung erst mit 1. Jänner 2040 in Kraft tritt. Die angefochtenen Bestimmungen verstießen, so die Landesregierung, aber nach wie vor sowohl gegen das Tierschutzgesetz als auch gegen das Bundesverfassungsgesetz u.a. über den Tierschutz aus dem Jahr 2013. Der Tierschutz werde durch eine zu lange Übergangsfrist unterlaufen.
(G 193/2023, V 40/2023)
Öffentliche Verhandlung über Antrag des Gemeinderates Krumpendorf
Am 28. November führt der VfGH eine öffentliche Verhandlung über den Antrag des Gemeinderates Krumpendorf durch, einem seiner Mitglieder das Mandat abzuerkennen (nähere Informationen hier).
Steht ein Fall auf der Tagesordnung, bedeutet dies nicht automatisch, dass darüber in diesen Tagen entschieden wird. Die Entscheidungen des VfGH werden nach Ende der Beratungen den Verfahrensparteien zugestellt. Erst danach kann der VfGH darüber informieren.